Selbstschutz ≠ Selbstverteidigung

Mi, Jan 5, 2011

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Viele Menschen beginnen mit dem Erlernen einer Kampfkunst, mit dem Ziel sich besser und vor allem selber vor den Gefahren dieser Welt  schützen zu können. Doch muss man viele Jahre harten Trainings auf sich nehmen, nur um sich besser schützen zu können? Ich denke dem ist nicht so. Prinzipiell kann man sich als sicher vor einer Gefahr betrachten, wenn man so weit wie möglich von dieser entfernt ist. Wikipedia definiert Selbstschutz wie folgt:

Unter Selbstschutz werden alle Maßnahmen verstanden, die dazu führen, sich bedrohlichen Situationen gar nicht erst auszusetzen bzw. einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff im Sinne einer Notwehr von sich abzuwenden, siehe auch Selbstverteidigung.

Ein allgemeines Missverständnis ist, dass Selbstschutz mit dem Kämpfen gleichgesetzt wird. Es gibt einen Unterschied zwischen Selbstschutz und Selbstverteidigung. Zur Selbstverteidigung bin ich erst gezwungen, wenn alle Maßnahmen zur Vermeidung bedrohlicher Situationen versagt haben.

Hierzu gehören aber auch Dinge aus anderen Bereichen. Wenn ich mich vor Krankheiten oder Verletzungen schützen will, dann muss der gesunde Menschenverstand eingeschaltet werden. Das bedeutet z.B. den Einsatz von Kondomen zur Aidsprävention oder auch das Anlegen des Sicherheitsgurtes beim Autofahren. Wenn ich nicht möchte, dass meine Daten missbräuchlich verwendet werden und mir somit Schaden zugefügt werden kann, dann sollte ich besser das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen und auf meine Daten aufpassen und nicht jedes Detail aus meinem Leben bei Facebook oder sonst wo bekannt geben.

Selbstschutz ist also in erster Linie Gefahrenvermeidung. Um nun einen möglichst großen Abstand zwischen sich und einer Gefahr bringen zu können, müssen Gefahren allerdings auch erkannt werden. Die Natur hat in dieser Hinsicht den Menschen mit dem nötigen Werkzeug ausgestattet, denn im Laufe der Evolution wurde der Mensch, wie übrigens alle Lebewesen auch, darauf programmiert zu überleben.

Mit Hilfe der fünf Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) soll das Überleben abgesichert werden. Sehe ich eine Gefahr, dann kann ich schnell wegrennen. Rieche ich Feuer oder Gas, dann werde ich nicht dahin gehen wo das Haus brennt oder sich das Gasleck befindet. Ist die Herdplatte heiß, werde ich nicht meine Hand drauflegen und schmeckt etwas bitter oder vergoren, dann schlucke ich es bestimmt auch nicht runter.

Um Gefahren überhaupt erkennen zu können, muss in erster Linie Klarheit darüber herrschen, welche Gefahren für Leib und Leben existieren. Erst dann kann man seine Aufmerksamkeit auf die Gefahrenerkennung richten. Das Zauberwort heiß dann also Aufmerksamkeit, in den Budokünsten auch als Zanshin bekannt.

残心 – Zanshin – verbleibender Geist, verbleibendes Herz

Funakoshi Gichin formulierte in seinem Buch „Karate Do Kyōhan“ seine Gedanken zur Wahrscheinlichkeit eines Angriffes und zum Stellenwert der Aufmerksamkeit wie folgt.

Eine [solche] Situation erfährt eine durchschnittliche Person vielleicht einmal im Leben, deshalb ergibt sich eine Gelegenheit, Karatetechniken anwenden zu müssen, nur einmal oder gar nicht. […] Sollte man das Ziel eines Angriffes geworden sein, liegt der Schluss nahe, dass die Wachsamkeit lückenhaft war. Das wichtigste ist, immer auf der Hut zu sein, zu jeder Zeit.

Nichtsdestotrotz ist es nicht ausgeschlossen, dass uns die Gefahr nicht doch manchmal findet, auch wenn wir sie nicht suchen. Hier kann Karate dann der Helfer in der Not sein, denn es lehrt uns die grundlegenden Prinzipien des Selbstschutzes. Gefahrenvermeidung und das aus dem Weg gehen von Konfliktsituationen durch Zanshin ist eines der Hauptprinzipien des Karate.

Es besteht aber auch aus physischen Methoden, die es ermöglichen aus einer Situation entkommen zu können. Laut Experten auf dem Gebiet der Selbstverteidigung macht die Aufmerksamkeit ca. 90% einer effektiven Selbstverteidigung aus. Die restlichen 10% sind dann die tatsächlichen Techniken, die es braucht, um entkommen zu können. Durch eine entsprechend hohe Aufmerksamkeit lassen sich potentielle Gefahren frühzeitig erkennen, bewerten und gegebenenfalls vermeiden.

Ein gewisser John Dean Cooper, besser bekannt als Jeff Cooper, Lieutenant Colonel beim U.S. Marine Corps und Begründer der modernen Pistolen-Schießtechniken, entwickelte ein Farbcodesystem hinsichtlich der Gefechtsbereitschaft, welches sich leicht auch für den zivilen Gebrauch verwenden lässt, um die verschiedenen Stufen der Aufmerksamkeit zu kategorisieren. Ich stelle dieses Farbcodesystem einmal kurz vor.

Code Weiß

Hier fühlt man sich absolut sicher und rechnet mit nichts Schlimmen. Die Aufmerksamkeit ist ausgeschalten. Man nimmt seine Umgebung nicht wahr und kann somit keine Gefahren erkennen. Im Zustand „Weiß“ sollte man sich, wenn überhaupt, nur zu Hause auf dem eigenen Sofa befinden. Potentielle Angreifer sind immer auf der Suche nach Opfern die „abwesend“ wirken.

Code Gelb

Hier verhält man sich vorsichtiger. Man befindet sich in einem entspannten aber alarmbereiten Zustand, dem Zustand der Gefahrenerkennung. Die Aufmerksamkeit ist voll auf die Umgebung gerichtet. Man erkennt potentiell gefährliche Orte wie z.B. dunkle Gassen, abgelegene Wege sowie Anzeichen aggressiven Verhaltens bei anderen Personen und meidet diese so weit es einem möglich ist. Im Zustand „Gelb“ sollte man sich eigentlich permanent befinden, zumindest wenn man vor die Tür geht. Wenn nötig aber auch zu Hause, da viele Menschen leider auch Opfer häuslicher Gewalt werden, die von Verwandten, Bekannten oder sogar dem Lebenspartner ausgeübt wird.

Code Orange

Hier befindet man sich in Gefahr. In diesem Zustand erfolgt die Gefahrenbewertung. Die Alarmglocken schrillen auf, da eine mögliche Gefahr erkannt wurde. Eine bestimmte Situation hat die gesamte Aufmerksamkeit auf sich gezogen und könnte ein größeres Problem darstellen. Man sollte nun nach Fluchtmöglichkeiten Ausschau halten und sich nach weiteren potentiellen Angreifern umschauen. Hier wird die Entscheidung gefällt, ob ein Handeln notwendig ist.

Code Rot

Jetzt befindet man sich in einer tatsächlichen Auseinandersetzung. Dies ist nun der Zustand der Gefahrenvermeidung. Die Situation wurde bewertet und sollte eine tatsächliche Gefahr vorhanden sein, sollte man sich auf einen Kampf einstellen oder die Flucht ergreifen. Kämpfe niemals, wenn eine Fluchtmöglichkeit besteht.

Funakoshi empfiehlt folgendes, nachzulesen in „Karate Do Kyōhan“.

Sollte, auch für den Fall, dass man alle Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hat, ein Angriff durch einen Ganoven erfolgen, dann ist es das Beste wegzulaufen. So weit es geht Weglaufen und Schutz suchen oder um Hilfe zu rufen, ist die beste Form der Selbstverteidigung.

Erst im Zustand „Rot“ und auch nur im Fall der Fälle, dass eine Flucht nicht möglich ist, ist man in einer Selbstverteidigungssituation. Erst hier muss dann tatsächlich physische Gewalt angewendet werden.

In diesem Sinne.

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