Shitei – Sensei oder nicht?

Mi, Mrz 30, 2011

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Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, Shitei (師弟) genannt, ist wichtig in den Budōkünsten, da ist auch Karate keine Ausnahme.

Aber wie findet man einen geeigneten Lehrer? Zuerst muss jeder für sich selbst entscheiden, was er für Ziele hat. Jeder fängt aus unterschiedlichen Gründen mit dem Karatetraining an und hat aus diesem Grund unterschiedliche Ansprüche an das Training und dem entsprechend an den Lehrer. Jeder Lehrer legt die Schwerpunkte seiner Lehre unterschiedlich fest. Wenn ich ein Topturnierkämpfer werden möchte, dann brauche ich einen Lehrer, der mich optimal auf die Wettkämpfe vorbereitet. Wenn ich lernen möchte mich selbst zu verteidigen, dann brauche ich einen Lehrer, der mir die Prinzipien des Selbstschutzes und der Selbstverteidigung beibringen kann. Da unter anderem auch viele „schwarze Schafe“ in der Szene aktiv sind, ist die Suche nach einem geeigneten Lehrer nicht ganz unwichtig.

Es ist also die Aufgabe desjenigen, der sich zukünftig um die Kunst oder den Sport (je nach Intention) bemühen möchte,  sich einen geeigneten Lehrer zu suchen. Im Normalfall werden also ein paar lokale Karate-Dōjō aufgesucht und ein oder mehrere Probetrainings mitgemacht. Oft erfolgt ein Einstieg auch über angebotene Einsteigerkurse. Danach wird die Entscheidung getroffen, ob man bleibt oder sich noch weiter auf die Suche begibt. Auf Grund des nur kurzen Eindruckes, der bei einem solchen Probetraining gewonnen werden kann, ist eine genaue Einschätzung des Lehrers natürlich nicht möglich. Es kann lediglich die Atmosphäre während des Trainings als Anhaltspunkt genutzt werden, um sich eine Meinung bilden zu können. Die Evaluation des Lehrers wird aber in der Regel im Laufe der Zeit erfolgen.

Ende des 19.Jahrhunderts, auf Okinawa, war es allerdings für einen lernwilligen Interessierten nicht so einfach von einem Lehrer als Schüler akzeptiert zu werden. Nur wer einen einwandfreien Charakter besaß, wurde als Schüler aufgenommen. Dies ist heutzutage natürlich so nicht mehr der Fall. Heute kann prinzipiell jeder eine Mitgliedschaft in einem Verein seiner Wahl eingehen. Dennoch gibt es auch heute noch Lehrer, die einen Neuling entsprechend auf die Probe stellen.  Nur wer wirklich etwas lernen will und auch bereit ist etwas zu investieren, wird sich aufmachen, sein zuvor gestecktes Ziel auch zu erreichen und länger Mitglied in dem entsprechenden Verein bleiben.

Wenn Karate im Sinne des Budō, als Karate-Dō betrieben wird, so ist es, wie eingangs schon erwähnt, wichtig ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.  Aufgabe des Lehrers, auch Sensei (先生) genannt, ist es, seine Schüler, auch als Deshi (弟子) bezeichnet, zu befähigen, sich Wissen und Fertigkeiten anzueignen, sie zu fördern und sie zu motivieren, hart an sich zu arbeiten, so dass diese Fortschritte machen. Der Sensei sollte seine Schüler auch dazu anzuhalten, bei anderen Lehrern zu lernen, um eine möglichst umfangreiche Ausbildung zu machen. Ein Lehrer muss dazu nicht unbedingt technisch besser sein als seine Schüler. Dies ist meist bei den alten Meistern auf Okinawa zu sehen. Auf Grund des hohen Alters, lässt natürlich auch die Kraft und Kondition nach. Trotzdem haben diese Lehrer, welche teilweise weit über 70 Jahre alt sind, oft noch eine erstaunliche Fitness. Ich sage oft zu meinen Studenten:

Macht es nicht so, wie ich es euch zeige. Macht es so, wie ich es euch sage.

Die Aufgabe des Schülers ist es, aufmerksam zu sein und hart an sich zu arbeiten. Er sollte, so gut er kann, lernen, um Fortschritte zu machen. Die Atmosphäre in einem Dōjō sollte freundschaftlich sein und das Verhältnis zwischen dem Lehrer und den Schülern sollte geprägt sein, von gegenseitigem Respekt und Vertrauen. Die Schüler vertrauen darauf, dass der Lehrer ihnen hilft, die gesteckten Ziele zu erreichen. Der Lehrer vertraut darauf, dass die Schüler ihr Bestes geben und mit großem Eifer lernen. Des Weiteren sollte er sich darauf verlassen können, dass sie mit dem erworbenen Wissen und den Fähigkeiten verantwortungsbewusst umgehen.

Was macht also einen guten Lehrer aus und wie erkenne ich einen? Ich werde hier einfach mal meinen Maßstab ansetzen, um diese Frage zu beantworten. Es folgt nun also wie immer nur meine Meinung.

Zuerst einmal sollte ein wahrer Sensei mit beiden Beinen fest im Leben stehen und eine feste soziale Basis haben. Hat er einen Job, eine Familie, ist verheiratet und hat Kinder, so ist dies immer ein ganz gutes Anzeichen für eine gefestigte Persönlichkeit. Ist er ein langzeitarbeitsloser Punk (nichts für ungut), so ist dies für mich ein Anzeichen dafür, dass derjenige seinen Allerwertesten nicht hoch bekommt. Die Werte und Ansichten, die so jemand vielleicht vermittelt, sind für mich wahrscheinlich eher nicht erstrebenswert und stehen für mich in einem krassen Gegensatz zu dem, was ich mir unter einem Sensei vorstelle. Ist der Lehrer erst Anfang 20 definiert sich vielleicht erst noch sein Platz in der Gesellschaft. Vielleicht gibt es noch Probleme das eigene Ego im Zaum zu halten. Er hat dann vielleicht noch kein gefestigtes Umfeld. Deshalb weiß man vielleicht auch nicht, wie lange der Trainingsbetrieb stattfindet, da auf Grund eines berufs- oder studienbedingten Standortwechsels des Lehrers der Trainingsbetrieb eingestellt werden muss.

先生 – Sensei – Lehrer, Der, der es vorlebt.
弟子 – Deshi – Jünger, Schüler
問答 – Mondō – Frage und Antwort, Problem und Lösung, Dialog, Lehrer-Schülergespräch

Die Lehrer prägen ihre Schüler. Sensei bedeutet „Der, der es vorlebt“. Wenn also ein Lehrer äußerst egozentrisch, egoistisch oder respektlos ist, dann werden seine Schüler höchst wahrscheinlich ebenfalls diese Charakterzüge annehmen. Im Gegensatz dazu, kann ein Lehrer seine Schüler zu hart an sich arbeitenden Menschen machen, in dem er selbst hart an sich arbeitet. Hat der Lehrer keine Disziplin, haben seine Schüler auch keine. Woher sollen sie diese Werte auch vermittelt bekommen. Ein Lehrer sollte also auch unbedingt ein Vorbild sein.

Ein guter Lehrer sollte seine Schüler für die Sache begeistern können und dazu anregen und animieren, sich eigenständig, über das normale Training hinaus, mit dem Thema zu beschäftigen. Er sollte dem Schüler helfen, sobald dieser Hilfe benötigt und ansonsten den Schüler selbst Erfahrungen sammeln lassen. Hat der Schüler Fragen, so können diese im Rahmen eines so genannten Mondō (問答), geklärt werden. Mir persönlich macht es immer großen Spaß Karate anderen näher zu bringen, wenn ich mitbekomme, dass sich die Teilnehmer anstrengen und wissbegierig sind.

Der Lehrer sollte in der Lage sein, die Disziplin in seinem Dōjō aufrecht zu erhalten und kleinere Undiszipliniertheiten sofort zu unterbinden. Er sollte also mitbekommen, wenn die Schüler anfangen sich zu unterhalten und gegenseitig abzulenken. Er sollte ebenfalls mitbekommen, wenn die Schüler irgendetwas machen, was von den angesagten Übungen abweicht.

Für mich persönlich ist die Transparenz des Trainings wichtig. Ich möchte immer wissen, warum ich diese oder jene Übung gerade durchführe. Der kontextuelle Hintergrund ist mir wichtig. Mache ich eine Übung um den Ablauf einer Kata zu verinnerlichen oder um ein Gefühl für den richtigen Abstand oder das Timing zu erlangen? Übe ich Dinge mit dem Hintergrund der Selbstverteidigung oder für einen Wettkampf? Ist das Training nicht transparent und es erfolgt keine Aussage zum Sinn und Zweck der Übung durch den Lehrer, kann man nach dem Training zum Lehrer gehen und fragen. Bekommt man keine entsprechend sinnvolle Antwort, ist dies ein Indiz dafür, dass derjenige es entweder nicht weiß oder es nicht mitteilen möchte, da es vielleicht geheim ist. In beiden Fällen wären dies für mich Abstriche, die sich auf die Bewertung negativ auswirken würden. Behält der Lehrer sein Wissen für sich, so ist dies beispielsweise ein Indiz für mangelndes Vertrauen. Was man auf keinen Fall tun sollte, ist den Lehrer mit Fragen vor den anderen Schülern bloßzustellen. Dies ist respektlos und sollte vermieden werden. Nach dem Training kann ein persönliches Gespräch unter vier Augen gesucht werden, wo verschiedene Dinge abgeklärt werden können. Auch Lehrer sind nur Menschen und hoffentlich für neue Erkenntnisse offen, um eventuelle Wissenslücken zu schließen.

In einigen Dōjō sieht man sogar tatsächlich Fälle von körperlichem oder seelischem Missbrauch. Sucht sich der Lehrer beispielsweise einen Schüler aus, holt diesen nach vorn, um ihn dann vor den anderen Schülern niederzumachen und bloß zu stellen, so zeugt das doch von erheblichen Charaktermängeln des so genannten Lehrers. In extremen Fällen stehen dann solche Typen vorn und schreien kleine Kinder an oder suchen sich Schüler, um diese als Punchingball zu gebrauchen, nur um ihnen ihre angebliche Überlegenheit und Macht zu demonstrieren. Sollte man so etwas erleben, sollte man schleunigst das Weite suchen und gegebenenfalls die zuständigen Behörden einschalten.

Abschließend möchte ich nun noch meine Kurzdefinition eines guten Lehrers angeben:

Ein guter Lehrer bringt neue Lehrer, im Sinne des Shu-Ha-Ri, hervor und nicht nur eine große Anzahl Schüler.

In diesem Sinne.

2 Kommentare

  1. Kristian

    ersteinmal großes lob für die seite lese gerne hier und empfehle dies auch meinen schülern, nun zu meinen kritikpunkt (wie du vielleicht schon an meiner mailadresse sehen kannst 🙂 ). deine verallgemeinerung der punkszene zu nichtsnutzen muss ich wiedersprechen, ich selbst arbeite gemeinnützig in einem wohnprojekt (mach das schon seit 12 jahren und wohne auch dort http://www.projekt-schuldenberg.de) von punks für punks und bin selber einer, ich verdiene damit kein geld sondern mache das um einen freiraum zu schaffen der frei von sexismus,homophobie und rassismus ist. das haus selbst haben wir gekauft ohne stadtliche oder staatliche mittel sondern mit unseren eigenen ersparnissen. um es kurz zu machen, nur weil einer einen iro hat,leute anbettelt oder vollpöpelt, dreckige klamotten hat usw. ist er kein punk. es gibt überall idioten aber diese nach einem erscheinungsbild einzuordnen ist nicht möglich. danke und weiter machen. 🙂 der ich

    • Kyōhan

      Hallo Kristian,

      danke erstmal für Deine lobenden Worte. Das es überall solche und solche gibt, ist sicherlich unbestritten und ich wollte bestimmt niemandem zu nahe treten. Aus dem Grund steht auch in Klammern „nichts für ungut“. Nichts desto trotz ist der Mensch voll von Vorurteilen und dieses Schubladendenken ist auch evolutionär bedingt wichtig um Situationen schnell beurteilen zu können.

      Selbstverständlich muss man sich die Mühe machen und jeden Menschen erst einmal kennenlernen. Ich schrieb ja lediglich worauf ich in erster Linie achten würde, sollte ich in einen Lehrer suchen. Ist er ein Punk ist das in erster Linie noch gar kein schlechtes Anzeichen in meinen Augen. Aber ist es jemand der tagsüber Leute anbettelt und mittags schon high in einer Ecke des Bahnhofsklos versackt, dann würde ich von diesem Menschen nicht lernen wollen.

      Meine Intention lag nicht in der Verallgemeinerung und vielleicht war mein Negativbeispiel nicht gut gewählt. Ich hoffe mit dieser Erklärung konnte ich mich etwas herausreden und hab es nicht schlimmer gemacht. :o)

      Wie gesagt, nix für ungut.

      Viele Grüße,
      Holger

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