Von Eichen und Kochrezepten

Fr, Nov 5, 2010

3 Kommentare

Wenn es um Karate als realistisches, pragmatisches und holistisches Kampfsystem geht, kommt man, meiner Meinung nach, nicht mehr an einem der führenden Vertreter auf diesem Gebiet vorbei. Die Rede ist von Iain Abernethy. Er ist für mich eine große Inspiration und hat meine heutige Sicht auf das Karate maßgeblich beeinflusst. Eine seiner größten Stärken ist die Art und Weise, wie er seine Sichtweise und seine Herangehensweise an das Thema Kata und Karate vermittelt. Er vermag es seine Ideen klar und deutlich rüberzubringen und kommt wie selten jemand immer ziemlich schnell auf den Kern der Dinge oder auf den buchstäblichen Punkt. Zu dem scheint er ein großer Freund von Analogien zu sein, wie dieser Artikel zeigen wird.

Heutzutage existieren einige Missverständnisse über die Bedeutung der Kata. Jede Kata stellt ein in sich abgeschlossenes Kampfsystem dar. Eine Analogie die er sehr gern verwendet, um dies zu verdeutlichen und die  Bedeutung der Kata im Karate aufzuzeigen, ist die Analogie von der Eiche und der Eichel.

Eine Eiche ist enorm stattlich, sowohl in Bezug auf ihre Größe als auch in Bezug auf ihr Alter, aber alles was benötigt wird, um eine Eiche zu reproduzieren, findet sich in einer einzelnen Eichel. Ein Kampfsystem bringt eine Kata auf dieselbe Weise hervor, wie eine Eiche eine Eichel hervorbringt. Sowohl die Eichel, als auch die Kata sind nicht so gewaltig, wie die ursprünglichen Dinge, die sie hervorbrachten, enthalten aber exakt alle notwendigen Informationen. Damit aus einer Eichel eine Eiche wird, muss sie richtig gepflanzt und gepflegt werden. Damit aus einer Kata ein komplettes Kampfsystem wird, muss diese korrekt studiert und geübt werden. Darin, dass die Kata des Karate nur sehr selten hinreichend studiert werden, liegt einer der größten Mängel des modernen Karate. Um zu der Analogie zurückzukommen, wir haben zwar die Samen, aber wir pflanzen sie nicht.

Um dann aber hervorzuheben, dass Kata kein Ersatz für das Training mit einem Partner darstellt und um die Zusammenhänge von Kata und Kumite zu verdeutlichen, verwendet er oft eine weitere Analogie. Hierzu vergleicht er Kata und Kumite mit Kochrezepten und dem Kochen.

Ein Rezept ist eine Reihe von Anweisungen, die es einem Koch ermöglichen gutes Essen zuzubereiten. Die Kata ist eine Reihe von Anweisungen, die es dem Übenden ermöglicht eine Reihe von gegebenen kämpferischen Konzepten zu erforschen. Der bloße Besitz eines Rezeptbuches macht einen noch nicht zum Koch. Auf dieselbe Weise machen die bloßen Kata-Kenntnisse einen nicht zum Kampfkünstler bzw. Kämpfer. Um das Kochen zu lernen, muss ein Koch eben in der Küche stehen und kochen. Um das Kämpfen zu erlernen, muss der Kampfkünstler sich im Zweikampf üben und kämpfen. Gekämpft werden soll allerdings mit den Informationen aus der Kata, nicht mit der Kata selbst. Es werden ja auch die Rezepte – lies Informationen – zum Kochen des Essens verwendet. Niemand würde auf die Idee kommen, die Rezepte zu essen. Das Üben der Kata ist kein Ersatz für das Kumite.

Da Karate ein holistisches Kampfsystem ist, also vollständig, besteht es nicht, wie oft angenommen, nur aus Schlägen, Tritten und Blöcken. Hebel, Würfe, Würgetechniken sind genauso enthalten, wie das Grappling auf dem Boden. Wenn wir Karate aber korrekt einordnen, nämlich als ziviles Kampfsystem zur Selbstverteidigung, dann muss allerdings auch die Rolle dieser Techniken klar sein. Karate ist primär ein System in dem Schläge verwendet werden. Dies wird auch durch das Prinzip des  „Ikken Hissatsu“ hervorgehoben.

一拳必殺 – eine Faust, sicherer Tod oder auch mit einem Schlag töten

In einer Verteidigungssituation auf den Boden zu gehen, ist wirklich das letzte, was man tun sollte. Lässt es sich nicht vermeiden, sollte man bemüht sein, so schnell wie es geht wieder auf die Beine zu gelangen. Dieser Sachverhalt wird ebenfalls durch eine weitere, wie ich finde, sehr passende Analogie deutlich gemacht.

Der Kampf am Boden hat, für jemanden der zur Selbstverteidigung gezwungen wird, ungefähr denselben Stellenwert, wie die Notlandung für einen Flugzeugpiloten. Es ist nichts, was sie jemals tun wollen würden. Sollten sie aber jemals in eine solche Situation kommen, in der es keinen anderen Ausweg mehr gibt, dann sollten sie allerdings mit dieser Situation umzugehen wissen.

Wer mehr über Iain Abernethy’s Sicht auf die Dinge erfahren möchte, sollte mal einen Blick auf seine Webseite riskieren. Hier gibt es jede Menge Material, wie z.B. Artikel, Videos, Podcasts und ein tolles Forum. Auch seine Bücher und DVDs sind sehr empfehlenswert.

Zu guter letzt, versuche ich mich auch mal mit einer Analogie zur Bedeutung der Kata.

Die Kata ist nicht nur das Herz und die Seele des Karate. Eine Kata enthält das Genom, auf Deutsch Erbgut, eines individuellen Kampfsystems. Somit stellt die Kata die DNS eines Kampfsystems dar. Das Genom enthält die Informationen, die zur Entwicklung und zur Ausprägung der spezifischen Eigenschaften des Kampfsystems notwendig sind.

In diesem Sinne.

3 Kommentare

  1. ~Meik

    Ich kann, was das gleiche Thema angeht, Patrick MacCarthy wärmstens empfehlen.

  2. Roby

    Als ein auf dem Wege der Vervollkommnung Schreitender, stoße ich immer wieder auf Unebenheiten bei den mehr oder weniger schlüssigen Interpretationen der Bewegungen in den Katas.
    Die vorherrschende Meinung scheint doch, aus Abschnitten der Katas verschieden Kampfhandlungen herzuleiten und diese dann so einzustudieren das sie dem Bewegungsablauf der Kata wieder entsprechen.

    Nun habe ich leider nur wenig praktikable Sequenzen gesehen. Die Interpretationen der verschiedenen Senseis haben mich selten überzeugt, weil es meist unpassende oder unnatürliche Bewegungsabläufe enthielten nur um dem Ablauf oder den Bewegungen der Kata zu entsprechen.

    Heute glaube ich das da zu viel reininterpretiert wird, die Kata kann und soll keine Kampfhandlungen oder Kampfsequenzen darstellen. Ich meine es ist eine von mehreren Übungsformen deren Sinn das Weitergeben der Essenz (Erbgut) ist.
    Als frühere Meister hunderte Male oder 30 Mal täglich eine Kata gelaufen sind, hatte sich denen der Sinn der Kata erst offenbart. Davon sind wir ja heute alle weit entfernt.
    In diesem Sinne

    • Kyōhan

      Hallo Roby,
      allein vom Üben der Kata erschließ sich auch den alten Meistern nicht der Sinn der einzelnen Bewegungen hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit. Dies wurde ihnen durch ihre Meister mündlich weitergegeben, desweiteren wurde dies dann auch immer im Kata-Gumite (heute als Bunkai bezeichnet) geübt und getestet. Ansonsten sollten die Anwendungen eher einfach gehalten sein, da sich in einem Notfall die Fähigkeiten der Feinmotorik rasch minimieren. Sollten dich in meinen Augen gute Anwendungen interessieren, dann schau doch mal auf dem Youtube-Kanal von Abernethy vorbei: http://www.youtube.com/user/practicalkatabunkai.
      Gruß Holger

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