Die Bedeutung der Kata

Di, Okt 5, 2010

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Kata wird allgemein mit „Form“ übersetzt. Zu beachten ist, dass zwei Kanji zum Schreiben von Kata bezüglich der Bedeutung „Form“ verwendet werden können. Es kann also jeder selbst entscheiden, welches dieser beiden Kanji er für das angebrachtere hält.

型 – Form, Schablone, Vorlage
形 – Form, Stil, Umriss, Gestalt

In der heutigen Zeit existieren die unterschiedlichsten Ansichten über Kata. Viele sehen Kata als notwendiges Übel um den nächsten Gürtel zu erlangen. Einige trainieren exzessiv Kata um bei Wettkämpfen erfolgreich zu sein. Nicht wenige sind aber davon überzeugt, dass Kata ein altes Relikt aus längst vergangenen Tagen und zum Erlernen des  Kämpfens völlig überflüssig und nicht mehr zeitgemäß ist. Für sie ist Kata nicht viel mehr als nur Gymnastik bzw. eine Fitnessübung.

Im Gegensatz dazu existieren Aussagen wie beispielsweise: „Kata ist das Herz und die Seele des Karate“ oder „Kata ist die hohe Schule des Karate“. Was wussten die alten Meister über die Bedeutung der Kata?

In Nakasone Genwas 1934 erschienenden Karatemagazin „Karate Kenkyū“ (offenbar gab es nur diese eine Ausgabe) ist der Artikel „Kata wa Tadashiku Renshū Seyo – korrektes Üben der Kata“, geschrieben von Mabuni Kenwa, enthalten. Hier kann folgendes nachgelesen werden:

Das wichtigste im Karate ist die Kata. In den Kata des Karate sind alle Arten von Angriff und Verteidigung mit einander verknüpft. Aus diesem Grund muss Kata korrekt geübt werden, mit einem guten Verständnis für ihre Anwendung (Bunkai). Es mag diejenigen geben, die das Üben der Kata ablehnen und sich lediglich auf das Üben von Kumite beschränken, welches auf ihrem Verständnis für die Kata basiert. Dies wird allerdings nie zu wahrem Fortschritt führen.

Miyagi Chōjun, der Gründer des Gōjū Ryū ließ uns in den Grundsätzen zum Gōjū Ryū folgendes wissen.

Die geheimen Prinzipien des Gōjū Ryū sind in den Kata enthalten. […] Es sollte nicht vergessen werden, dass Kata die Essenz des Karate ist und dass diese immer wieder von neuem hart trainiert werden sollten. Das Üben der Kata ist der einzige Weg zur wahren Erkenntnis.

Um der Sache genauer auf den Grund gehen zu können, sollte vielleicht einmal betrachtet werden, warum Kata also das Herz und die Seele des Karate zumindest damals waren. Zu welchem Zweck wurde Karate eigentlich damals geübt. Sportliche Wettkämpfe waren damals auf Okinawa sicherlich nicht unüblich, allerdings gab es keine sportlichen Duelle im Karate. Betrachten wir doch mal die Aussagen der beiden Karateexperten Itosu Ankō und Motobu Chōki.

Motobu erklärt in seinem Werk „Watashi no Karate Jutsu“ in welchem Kontext Kata bzw. Karate überhaupt gesehen werden muss.

Die Techniken der Kata wurden nicht entwickelt um gegen professionelle Kämpfer in einer Arena oder auf dem Schlachtfeld bestehen zu können. Sie sind am effektivsten, wenn sie gegen jemanden eingesetzt werden, der keine Ahnung von den Strategien hat, die verwendet werden können um sein aggressives Verhalten zu erwidern.

Itosu Ankō, einer der Lehrer Funakoshis, traf in seinen 10 Grundsätzen zum Tōde (Karate) eine ähnliche Aussage.

Grundsatz 01: Karate wird nicht nur für den eigenen Nutzen geübt, sondern es kann auch zum Schutz der eigenen Familie oder des eigenen Meisters angewandt werden. Es ist nicht dazu gedacht in einem Zweikampf verwendet zu werden, sondern um mit Hilfe seiner Hände und Füße Verletzungen zu vermeiden, sollte man durch Zufall mit einen Bösewicht oder Schurken konfrontiert werden.

Diese beiden Experten wollen uns also wissen lassen, dass Karate nicht für den Einsatz gegen professionelle Kämpfer gedacht ist, sondern zur reinen Selbstverteidigung in einer zivilen Umgebung. Wie Motobu uns erklärt funktionieren die Techniken am besten, wenn der Angreifer keinerlei Ausbildung bezüglich der Kampfkünste genossen hat. Es funktioniert also am besten gegen Kneipenschläger, Rowdies und anders geartete Schurken.

Nachdem nun geklärt ist zu welchem Zweck Karate eigentlich eingesetzt werden kann, betrachten wir nun einmal ein paar weitere Aussagen, um zu klären was denn Kata nun eigentlich ist.

In seinem Buch „Karate Dō Kyōhan“ hielt Funakoshi folgendes für den geneigten Leser fest.

In der Vergangenheit wurde davon ausgegangen, dass etwa drei Jahre benötigt wurden, um eine einzige Kata zu lernen. Und es war üblich, dass selbst Experten mit beachtlichen Fähigkeiten nur drei oder im Höchstfall fünf Kata kannten. […] Auch ich habe 10 Jahre lang studiert, um die drei Tekki-Formen wirklich zu erlernen.

Aber warum? Wieso wurde sich drei Jahre lang nur mit einer Kata beschäftigt? Das komplette Shōtōkan Curriculum von 26 Kata kann in ca. einem Monat vom Ablauf her sehr gut erlernt werden. Russel Stutely schreibt in seinem Buch „Karate – The Hidden Secrets“, dass seine Schwester (Tanzlehrerin) eine Wette mit ihm einging alle Shōtōkan Kata innerhalb einer Woche zu lernen. Und wer ist jetzt überrascht, dass Sie die Wette gewann?

Warum nahmen sich die Leute damals so viel Zeit oder warum kannte ein Meister meist nicht mehr als eine handvoll Kata?

Die Antwort ist eigentlich nicht so schwer zu finden. Motobu Chōki bezeichnet in seinem Buch „Watashi no Karate Jutsu“ die Kata Kūshankū, Rōhai, Wanshu, Chintō usw. als Stile. Das heißt er geht davon aus, dass eine Kata einem eigenständigen Kampfstil entspricht.

Wenn wir jedoch von unterschiedlichen Stilen ausgehen, müssen wir allerdings eine Sache bedenken. Es sind nicht die Anwendungsprinzipien der Stile (Kata) die sich von einander unterscheiden, sondern lediglich die Methoden, die zur Entwicklung von Techniken verwendet wurden, um den willkürlichen aber dennoch üblichen Handlungen physischer Gewalt effektiv begegnet zu können.

Wenn wir uns Miyagis Aussage zur Bedeutung der Kata noch einmal anschauen, dann spricht dieser von geheimen Prinzipien. Motobu lässt uns wissen, dass sich die Anwendungsprinzipien nicht unterscheiden, sondern lediglich die darauf aufbauenden Techniken.  Kūshankū, Chintō und Wanshu sind die Namen bekannter Kampfkunstexperten. Um deren Wissen für die Nachwelt zu erhalten, entwickelten deren Schüler Kata. In diesen wurden dann die Prinzipien, Methoden und Taktiken festgehalten, welche diese Meister lehrten.

Vor der Einführung des Karate auf dem japanischen Festland bestand das Karatetraining ausschließlich aus dem Üben von Kata. Das bedeutet nicht, dass nur die bloße Form geübt wurde. Die Anwendung mit einem Partner in Form von so genannten Drills wurde maßgeblich trainiert. Das Üben der Soloform war prinzipiell eher eine Notlösung. Schauen wir noch einmal auf Mabunis Worte zum korrekten Üben der Kata. Er lässt uns wissen, dass die Kata mit dem Verständnis für die Bedeutung der Anwendung geübt werden muss. Da das Studium der Kata somit eine ganz andere Bedeutung hatte als heutzutage, lässt sich dieser für heutige Verhältnisse recht lange Zeitraum zum Üben der Kata recht gut erklären.

Damals galt für eine Kata der Grundsatz „hito kata sannen – eine Kata, drei Jahre“ bevor es zur nächsten ging. Des Weiteren war es laut Funakoshi nicht unüblich, dass ein Meister nur wenige Kata kannte und unterrichtete.

一型三年 – hito kata san nen

Bedenkt man, dass eine Kata ein in sich abgeschlossenes System zur Selbstverteidigung darstellt, dann war es ganz einfach nicht notwendig mehr als ein paar Kata zu kennen. Eine Kata enthält sicherlich nicht jedes letzte Detail an Information bezüglich einer effektiven Erwiderung von Gewalt, aber an sich genug um über die Runden zu kommen. Aus diesem Grund kann es nicht schaden mehr als eine Kata zu beherrschen. Vielmehr ist allerdings nicht notwendig.

Mabuni schreibt in dem oben genannten Artikel:

Wenn richtig praktiziert, genügen zwei oder drei Kata vollkommen. Das Studieren zusätzlicher Kata dient dann nur noch zur Gewinnung zusätzlicher Erkenntnisse. […] Das korrekte Studium der Kata und ein hinreichendes Verständnis hinsichtlich ihrer Bedeutung sind das wichtigste für einen Studenten des Karate.

Also fassen wir noch einmal zusammen was denn Kata nun eigentlich ist. Da Kata nicht für den Einsatz gegen professionelle Kämpfer entwickelt wurden, steht also nun fest, dass Kata Prinzipien und Strategien enthält, um sich in einem zivilen Umfeld gegen die üblichen Handlungen phyischer Gewalt selbst verteidigen zu können.
Des Weiteren kann eine Kata als Lehrmethode verwendet werden, um das Wissen bezüglich der in ihr enthaltenen Prinzipien und Strategien an künftige Generationen weiterzugeben. Diese Prinzipien werden anhand von Beispieltechniken in den Kata demonstriert. Das ganze ist also praktisch ein mnemonisches System, um dem Übenden eine Gedächtnisstütze hinsichtlich der enthaltenen Prinzipien zu sein.

Nachdem wir nun wissen, was Kata eigentlich ist, sollten wir doch auch noch einmal betrachten, was Kata nicht ist.

Es gibt viele Kampfkünstler/-sportler die Kata für einen choreographierten Kampf gegen mehrere imaginäre Gegner halten. Nicht wenige gehen davon aus, mit ihren im Dōjō erlangten Fähigkeiten bestens auf den Ernstfall, sich verteidigen zu müssen, vorbereitet zu sein.

In seinem Shōtōnijūkun (松濤二十訓) – den 20 Paragraphen – zum Karate Dō hält Funakoshi folgendes an Position 18 fest.

形は正しく実戦は別物 – Übe die Kata in unveränderter Form, ein tatsächlicher Kampf ist eine vollkommen andere Angelegenheit.

Funakoshi lässt uns also wissen, dass es wichtig ist die Techniken der Kata korrekt zu üben. Sobald man sich in einer echten Auseinandersetzung befindet, sollte man sich allerdings der in den Kata enthaltenen Prinzipien bedienen. Kata ist also kein Kampf sondern lediglich eine Aufzeichnung von Strategien und Taktiken. Wenn diese dann in einer realen Situation angewendet werden müssen, erst dann handelt es sich um einen Kampf. Die Sache mit den imaginären Gegnern kann somit auch ins Reich der Märchen einsortiert werden.

Ein weiterer Sachverhalt gehört meiner Meinung nach ins Märchenland. Es wird of behauptet, das Kūshankū eine Kata zum Kämpfen im Dunkeln ist oder Naihanchi eine Kata zum Kämpfen auf einem Steg oder für den Kampf mit dem Rücken zur Wand. Da die einzelnen Kata zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten entstanden und von unterschiedlichen Leuten entwickelt wurden, ist davon auszugehen, dass es keine Kata für spezielle Situationen gibt.  Dies wäre auch am Konzept der Kata vorbei, da Kata ja gegen die üblichen zivilen Angriffe den Übenden vorbereitet. Kata ist also allgemein gehalten. Nicht umsonst existieren in den unterschiedlichen Kata immer wieder dieselben Bewegungen. Wozu sollten denn diese Bewegungen sich wiederholen, wenn Sie schon in einer anderen Kata geübt worden sind. Diese Redundanz wäre doch somit nicht gerechtfertigt. Es ist doch viel plausibler, dass die unterschiedlichen Entwickler der Kata auf ähnliche Konzepte gestoßen sind und somit ähnliche Bewegungen heranzogen um die Prinzipien zu illustrieren.

Illustration des gleichen Prinzips

Illustration des gleichen Prinzips

Ausnahmen gibt es auch hier selbstverständlich z.B. in Form der Pinan/Heian Serie. Diese wurde bewusst so konzipiert,  dass die Prinzipien und Methoden zur Selbstverteidigung Stück für Stück gelernt werden konnte. Sie stellt wohl die Crème de la Crème der Prinzipien aus dem kompletten Shōrin Ryū dar, da viele der Bewegungen auch in anderen Shōrin Ryū Kata vorkommen (Passai, Jion, Kūshankū, Chintō usw.).

Funakoshi schrieb über die Pinan/Heian Kata folgendes in seinem Buch „Karate Dō Kyōhan“.

Hat man diese fünf Kata gemeistert, dann kann man zuversichtlich sein und davon ausgehen, sich in den meisten Situationen kompetent verteidigen zu können.

Somit sind die Kata tatsächlich das Herz und die Seele des Karate. Sie enthalten sämtliche Informationen, die dem Übenden bei korrekter Verwendung dieser Informationen helfen ein passabler Kampfkünstler zu werden und ihn befähigen sich selbst und andere zu schützen bzw. zu verteidigen. Kämpfen lernen kann jeder definitiv auch ohne Kata, aber wozu sollte das Rad jedes Mal neu erfunden werden, wenn doch die alten Meister schon die ganze Vorarbeit geleistet haben? Unter anderem verwendete Isaac Newton das Gleichnis von den Zwergen auf den Schultern von Riesen.

Wenn ich weiter sehen konnte, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Giganten stand.

In diesem Sinne.

3 Kommentare

  1. Roby

    Der Hauptgrund für das jahrelange Üben einer Kata könnte auch die für mich schlüssige Erklärung von Matthias Golinski auf tsuru.de sein:
    Unbedingt herauszustellen ist noch, dass die Analyse der Formen und das Erkennen der Anwendungsmöglichkeiten lediglich den erste Schritt und keinesfalls das Endziel markiert. „Sobald eine Form gelernt wurde, muss sie kontinuierlich geübt werden, bis sie in einem Notfall angewendet werden kann. Lediglich die Abfolge einer Form zu kennen ist im Karate nutzlos“ schrieb Funakoshi Gichin ziemlich eindeutig [E13]. Folglich müssen die Anwendungen ständig geübt, verfestigt und unbedingt auch unter Stress erprobt werden. Nur so kann das, in der Kata enthaltene, Wissen einmal effektiv zur Verteidigung genutzt werden.

    Lernen heißt umdenken, überdenken und leider oft auch verwerfen. Man sollte den Geist offen halten und alles prüfen, was man sieht.

    in diesem Sinne

  2. Hi,

    hierzu habe ich eine Frage, Zitat „Die Sache mit den imaginären Gegnern kann somit auch ins Reich der Märchen einsortiert werden.“ Wenn Du Kata machst, stellst Du Dir nicht die Anwendung vor, projezierst vor Deinem geistigen Auge nicht die Situation und den Gegner / die Gegner?

    Viele Grüße

    Andreas

    • Kyōhan

      Hallo Andreas,

      nein ich stelle mir keine imaginären Feinde vor. Wenn ich Kata übe, dann konzentriere ich mich eher auf technische Details bei der Ausführung der Bewegungen (Körperstruktur, Schwerpunkt, Generierung von Kraft). Visualisierung setze ich dann eher beim Pratzentraining und am Sandsack ein. Die Anwendung selbst erfolgt dann im Training am Übungspartner, da sich Situationen permanent ändern, wäre es in meinen Augen eher kontraproduktiv sich beim Katatraining lediglich eine Situation vorzustellen.

      Viele Grüße
      Holger

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