Die Truppen des Shimazu-Klans aus der Provinz Satsuma starteten im Jahre 1609 einen groß angelegten Angriff auf das Königreich Ryūkyū. Dies passierte jedoch nicht aus heiterem Himmel, sondern diesem Akt gingen viele Jahre der Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien voraus. Um diesen Feldzug durchführen zu können, benötigten die Shimazu das Einverständnis des Tokugawa Shōgunats. Nach einer nur wenige Tage andauernden Belagerungsschlacht war das Königreich besiegt.
Es wird oft behauptet, dass die schnelle Niederlage eine Folge der schlechten Bewaffnung der Krieger des Königreiches war, da sie keine Feuerwaffen und sie somit keine Chance hatten gegen die mit Arkebusen ausgerüsteten Truppen der Shimazu. Dies ist nur eine Halbwahrheit. Das Königreich Ryūkyū war eines der ersten, welches chinesische Feuerwaffen importierte. Allerdings konzentrierte es sich mehr auf große Kanonen, als auf die damals in Japan sehr verbreiteten Arkebusen, da sie eher daran interessiert waren ihre Häfen zu befestigten, um anstürmende Piratenhorden abwehren zu können.
Nach der Niederlage wurden König Shō Nei und u.a. seine wichtigsten Minister des Sanshikan (三司官) als Geisel nach Kagoshima, dem Regierungssitz der Shimazu in Satsuma, gebracht. Hier wurde ein Dekret verfasst, dass durch den König und seine Minister unterschrieben werden musste. Einer der Minister aus dem Sanshikan, Jana Teidō im Range eines Ueikata, verweigerte dies. Daraufhin wurde er kurzerhand via Enthauptung hingerichtet. Erst nachdem dieses Dekret unterzeichnet war, durfte König Shō Nei und sein Gefolge im Jahre 1611 wieder nach Ryūkyū zurückkehren.
Nun wird oft behauptet, dass in Folge der Besetzung Ryūkyūs durch die Samurai aus Satsuma ein Waffenverbot ausgesprochen wurde. Hierzu ist ein Blick auf das oben schon angesprochene Dekret mit seinen 15 zu befolgenden Regeln sicherlich hilfreich.
01. Ohne Erlaubnis dürfen keine Waren aus China importiert werden.
02. Bezüge gehen nur an fähige und verdiente Beamte, die Herkunft allein garantiert den Erhalt von Bezügen nicht.
03. Frauen haben keinen Anspruch auf Bezüge.
04. Es dürfen keine männlichen Bediensteten in Privathaushalten beschäftigt werden
05. Die Anzahl der errichteten buddhistischen und shintōistischen Schreine darf nicht zu groß sein.
06. Händler, die in Übersee Handel betreiben wollen, benötigen eine schriftliche Erlaubnis.
07. Einwohner des Königreiches dürfen nicht als Sklaven an das japanische Festland verkauft werden.
08. Steuerabgaben müssen genau so gezahlt werden, wie sie vom Magistrat festgelegt werden.
09. Öffentliche Angelegenheiten müssen ausschließlich dem Sanshikan vorgetragen werden.
10. Niemand darf dazu gezwungen werden, gegen seinen Willen Dinge zu kaufen oder zu verkaufen.
11. Streits und persönliche Auseinandersetzungen sind verboten.
12. Kleinere Verbrechen sollen durch die lokalen Behörden geklärt werden, große Verbrechen müssen den Satsuma gemeldet werden.
13. Es ist keinem Handelsschiff erlaubt von Ryūkyū aus andere Länder anzusteuern.
14. Es dürfen nur japanische Maßeinheiten verwendet werden.
15. Glücksspiel und ähnliche Laster sind strengstens verboten.
In diesem Dekret wurde nichts von einen Waffenverbot festgehalten. Eine so große Einschränkung wie ein Waffenverbot hätte doch sicherlich auch in diesem Dekret Erwähnung finden müssen. Es kann an den Regeln gut erkannt werden, dass die Satsuma lediglich daran interessiert waren das Königreich Ryūkyū finanziell auszubeuten. Sie kontrollierten und regulierten den Handel des Königreiches.
Die Samurai aus Satsuma waren auch nicht permanent in großer Anzahl vor Ort, um ein Waffenverbot durchsetzen zu können. Sie halfen wohl eher bei der Verwaltung. So wurde für eine erste wirtschaftliche Bestandsaufnahme, um die auszurichtenden Steuern besser schätzen zu können, eine Gruppe von 14 Kommissaren eingesetzt, diese wurden durch lediglich 168 Mann begleitet. Auf Grund der finanziellen Interessen waren die Shimazu darauf angewiesen, dass der Handel mit China weiterlief. Aus diesem Grunde wurde die Eroberung und Bevormundung des Königreiches durch die Shimazu vor China geheimgehalten. Schon aus diesem Grund konnten sie nicht in großer Anzahl vor Ort sein. Sobald chinesische Händler oder Gesandte nach Okinawa kamen, versteckten sich die Satsuma im Hinterland, ebenso wurde alles was nach japanischen Einflüssen aussah versteckt. Im gleichen Maße war das wirtschaftlich schwache Königreich davon abhängig, dass die Shimazu in den Handel mit China investierten und es finanziell unterstützte.
Es musste sich also niemand mit den Unterdrückern herumschlagen und es wurden mit Sicherheit keine Aufstände gegen die Shimazu angezettelt. Man war ja dringend auf die Unterstützung angewiesen und konnte es nicht riskieren diese Unterstützung zu gefährden. Ich erinnere auch nochmal an die Tatsache, dass die Shimazu die Erlaubnis des Shōguns für die Invasion benötigten. Ohne eine offizielle Genehmigung durch diesen hätte man keine Repressalien gegen das Königreich durchsetzen können.
Warum kam es dann zu dem Mythos des Waffenverbots? Ein wichtiger Aspekt sind hierbei die Reiseberichte des Kapitäns Basil Hall, der im Jahre 1816 das Königreich besuchte. Diese drangen sogar bis zu Napoleon vor. Er berichtete von friedlichen Einwohnern die keine Waffen trugen und angeblich auch keine Waffen kannten. Hier kommt aber nun zum tragen, dass die Beamten des Königreiches von hohem Stand waren, also kein Schwertadel wie die Samurai auf dem japanischen Festland. Sie hatten es also nicht nötig Schwerter als Zeichen ihres Standes zu tragen, das könnte eine Erklärung dafür sein, wieso Besucher wie Hall keine Schwerter zu Gesicht bekamen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht im Besitz von Schwertern waren.
Des Weiteren existierten auf Grund von Rohstoffmängeln im Königreich so gut wie keine Schwertschmieden. Einwohnern aus Ryūkyū war es aber erlaubt ihre Waffen mit nach Kagoshima zu bringen, um diese dort aufarbeiten oder reparieren zu lassen. Mit Waffen wurde aber seit jeher gehandelt. Im Jahre 1639 wurde allerdings der Export von Waffen nach Übersee durch die Tokugawa verboten. Dies betraf auch das Königreich Ryūkyū, da es unter die Rubrik Übersee fiel. Die Verwaltung in Kagoshima setzte also lediglich den Willen des Shōgun um. Dies entspricht allerdings keinem allgemeinen Waffenverbot.
Auch ist die oft zu lesende Behauptung, dass es lediglich ein Messer für jedes Dorf gab, purer Blödsinn! Wie soll das gehen? In einem Fischerdorf werden Messer benötigt. Die Fischer hätten Ihre Arbeit nicht adäquat erledigen können, hätten sie im ganzen Dorf nur ein Messer, welches auch noch am Brunnen angebunden war, gehabt.
Aber es gibt noch weitere Fakten die gegen ein Waffenverbot sprechen.
In „Notes on Loochoo“ aus dem Jahre 1873 hielt Ernest Satow, ein Diplomat und Japanologe der viele Jahre in Japan wirkte, folgendes fest.
In Hinblick auf männlichere Errungenschaften muss erwähnt werden, dass sie hervorragende Bogenschützen zu Pferd und gute Schützen mit dem Luntenschloss [Anmerkung: Luntenschlösser wurden in Musketen und Arkebusen verwendet] sind. Ihre Boxfähigkeiten sind so, dass ein gut trainierter Kämpfer einen großen erdenen Wasserkrug zerschlagen oder einen Mann mit einem einzigen Faustschlag töten kann.
Beamte Ryūkyūs, wie Matsumura Sōkon, Matsumora Kōsaku und Asato Ankō studierten die Shimazu Familienkampftradition, das Jigen-Ryū, teilweise sogar vor Ort in Kagoshima.
Im Jahre 1867 fand eine öffentliche Demonstration der Künste des Königreiches statt, die auch die Demonstrationen im Umgang mit Waffen mit einschloss. Somit kann auch davon ausgegangen werden, dass das Ryūkyū-Kobudō nicht aus der Notwendigkeit heraus auf Grund eines Waffenverbotes entstand. Es wäre sicherlich auch ein Armutszeugnis für die Intelligenz der Samurai, wenn sie als Bauerngeräte getarnte Waffen nicht als solche erkannt hätten.
Mein Fazit ist also, dass es weder ein Waffenverbot unter König Shō Shin gab, noch eines unter dem Einfluss der Samurai aus Satsuma.
In diesem Sinne.
6 Kommentare
Hallo Holger,
wieder mal ein sehr lesenswerter und lehrreicher Artikel!
Zu den Bauerngeräten: Es bleibt nach wie vor die Frage, zu welchem Zweck und wann das Kobudo eingeführt wurde?
Gruß, Mirko
Hallo Mirko,
wie wir bereits festgestellt haben, waren die Kobudowaffen keine „Bauernwaffen“ sondern die meisten fanden ihren Weg von China nach Ryukyu.
Kobudo (der Umgang mit Waffen) wurde auch nicht eingeführt, es war irgendwie immer da. Seit Anbeginn der Zeit entwickelte der Mensch seine Fähigkeiten im Umgang mit Werkzeugen, sei es zum Jagen, Kämpfen oder andere alltägliche Sachen. Und mit der Zeit entwickelten sich dann die diversen Waffenformen (Stich-, Hieb-, Zentrifugal-, ballistische Waffen usw.). Das Töten mit Waffen war schon immer irgendwie effektiver als mit bloßen Händen.
Gruß Holger
Hallo Holger,
ich meine einmal etwas von einem ersten Waffenverbot (König Sho-Hashi) und einem zweiten Waffenverbot (König Sho-Shin) gelesen zu haben. Über das dritte Waffenverbot (Satsuma) hast du ja einiges geschrieben. Hast du auch Infos, wie die ersten beiden einzuordnen sind?
Viele Grüße
Jürgen
Hallo Jürgen,
von einem Waffenverbot unter Sho Hashi hab ich bisher nichts gewußt, das angebliche Verbot unter Sho Shin hab ich in folgendem Artikel betrachtet: http://www.karate-kyohan.de/die-elf-errungenschaften-des-shoshin/
Gruß Holger
Hallo Holger,
ich habe auch nochmal im Internet gesucht und folgendes gefunden:
http://www.budopedia.de/wiki/Okinawa#Erste_Sh.C5.8D-Dynastie_.281406-1468.29
Stammt wohl von Werner Lind
Hallo Jürgen,
bei allem Respekt vor dem Lebenswerk von Werner Lind, aber da diese Information nicht mit einer konkreten Quellenangabe erfolgt, ist sie für mich nicht von Relevanz, daher zu vernachlässigen.
Ich kann ja nochmal bei Kerr oder Quast nachschauen, aber ich denke ein diskutiertes Verbot vor Sho Shin wäre mir aufgefallen. Da der Mythos der Waffenverbote eh längst entlarvt wurde, ist das aber nicht im Fokus meines Interesses.
Gruß Holger