Dō und/oder Jutsu

So, Mai 20, 2012

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In vielen Karatevereinen wird besonders viel Wert auf die Betonung des Karate als Weglehre gelegt. Karate-Dō soll nicht nur im Dōjō stattfinden, sondern den Adepten ein ganzes Leben lang, auch im Alltag, begleiten. Andere wiederum betonen besonders, dass sie Karate-Jutsu betreiben. Dies soll womöglich darauf hinweisen, dass man sich dem Karate verschrieben hat, so wie es früher einmal gewesen seien soll. Das Karate wird hier also anscheinend mit der ursprünglichen Intention trainiert.

Aber warum werden diese Unterscheidungen oft als notwendig angesehen? Schauen wir uns den Unterschied zwischen zwischen Dō und Jutsu einmal genauer an. Zunächst einmal erfolgt der Blick auf die Kanji für Dō (道) und Jutsu (術).

道 – Pfad, Weg, Strasse, Methode
術 – Weg, Fähigkeit, Methode, Verfahren, Kunst

Der Dō-Gedanke basiert auf der chinesischen Weltanschauung des Taoismus, welcher seinen Weg in die japanische Kultur fand und entsprechend dem japanischen Verständnis für die Dinge angepasst wurde. Er beinhaltet die Idee des Strebens nach Vollkommenheit in einer Disziplin, welche sich der Adept selbst wählt. Sei es das Zubereiten von Tee (茶道 – Chadō), das sich Üben in der Kalligraphie (書道 – Shodō), das Arrangieren von Blumen (華道 – Kadō) oder eben die Ausübung der Kampfkunst (武道 – Budō), gestrebt wird nach einem meisterlichem Niveau. Hierzu muss allerdings ein konkretes Ziel vorhanden sein. Ohne ein konkretes Ziel einfach nur drauf los zu machen, nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“, führt nicht zum Ziel und ist wohl nur reine Zeitverschwendung. Dies beinhaltet auch die Tatsache, dass sich derjenige, der sich auf den Weg macht, mit fortschreitender Übung immer besser wird, so dass er sein höchstes Niveau im Alter erreicht. Im Gegensatz hierzu steht natürlich der (Leistungs-)Sport. Hier ist die Hochzeit eines Athleten auf eine gewisse Zeitspanne begrenzt, so dass er irgendwann von jüngeren Sportlern übertrumpft wird.

Während und nach der Sengoku-Periode (Sengoku-Jidai 戦国時代), bekriegten sich viele japanische Provinzfürsten und stritten um die Macht im Land. Viele große Schlachten wurden geschlagen, demzufolge mussten auch die Soldaten entsprechend ausgebildet werden. Trainiert wurden diese in vielen Waffendisziplinen, Kenjutsu (剣術), Naginatajutsu (長刀術), Hōjutsu (砲術) und im Taijutsu (体術), dem waffenlosen Kampf. Die Ausbildung war in der Regel von begrenzter Länge, auch wenn sich die meisten seit den Kindertagen mit der Kampfkunst beschäftigten, so dass die Soldaten sicherlich einiges an Fertigkeiten für das Schlachtfeld erwarben, aber alles andere als vollendete Meister waren. Beim Jutsu geht es lediglich um den Erwerb der Fähigkeiten, hat man die Ausbildung abgeschlossen, war man sozusagen ein Geselle der Kampfkunst. Überlebte man einige Schlachten bestand die Möglichkeit die eigene Kampfkunst zu verbessern, vielleicht sogar zu vollenden. In der sich anschließenden Edō-Zeit herrschte Frieden, so dass sich die Soldaten langweilten hinsichtlich der fehlenden Herausforderungen, die das Schlachtfeld bietet. Des Weiteren mussten sie sich nun irgendwie rechtfertigen sich intensiv mit der Kampfkunst auseinanderzusetzen, aus diesem Grund wurde der Dō-Gedanke aufgegriffen.

Es gibt eine ganze Reihe von Kampfkünsten, die eine Verwandlung vom Bujutsu zum Budō gemacht haben. Beispiele hierfür sind unter anderem diese hier:

aus Jūjutsu (柔術) wurde Jūdō (柔道)
aus Kenjutsu (剣術) wurde Kendō (剣道)
aus Battōjutsu (抜刀術) oder Iaijutsu (居合術) wurde Iaidō (居合道)

Aus oben genannten Gründen kam es zu diesen Wandlungen. Wer sich nun fragt, was das alles mit dem Karate zu tun hat, da es ja auf Okinawa entstand, muss sich nur der Tatsache bewusst werden, dass Okinawa im Jahre 1609 von japanischen Kriegern des Shimazu-Klans annektiert wurde. Diese brachten natürlich auch ihre Kampfkunst mit auf die Insel. Da Karate nicht nur technisch sehr vom Jigen-Ryū (示現流), der Shimazu Familienkampfkunst, beeinflusst wurde, ist sicher auch der Dō-Gedanke mit in die okinwanischen Kampfkünste eingegangen.

Der erzieherische Wert der Kampfkünste wurde ebenfalls bereits von Matsumura und Itosu erkannt. Matsumura beschrieb in seinem Makimono zur Kampfkunst, dass nur die „Kampfkunst des kriegerischen Wegs“ der richtige Weg sei. Unter anderem werden hier 7 Tugenden gefördert. Auch Itosu beschrieb in seinem Brief aus dem Jahre 1908 an das japanische Erziehungsministerium, das Karate bei der Erziehung vorteilhaft sei, da es Tugenden wie z.B. Mut oder Disziplin fördert. Des Weiteren ist es, so lange es richtig betrieben wird, gesundheitsfördernd.

Kommen wir zurück zu der Frage, warum so mancher zwischen Karate-Dō und Karate-Jutsu unterscheidet. Hier zu gibt es in meinen Augen zwei Erklärungen.

Ein wesentlicher Grund warum oft der Unterschied, zwischen Dō und Jutsu gemacht wird, ist der Übergang einiger Kampfkünste zum Sport. Zum Teil mag diese Beobachtung richtig sein, allerdings liegt das meiner Meinung nach eher am Lehrer bzw. an der Politik der großen Verbände, als an der Kampfkunst selbst. Das Jūdō selbst kann nichts dafür, dass nur noch selten oder gar keine Schlagtechniken (Atemi-Waza) gelehrt werden. Es liegt nicht am Karate, dass nur selten Würfe, Hebel oder gar Fallschule (Ukemi-Waza) gelehrt wird. Das Selbe gilt natürlich für andere Kampfkünste, denen eine Art Versportlichung droht. Dem geschuldet ist die Tatsache, dass nicht wenige anfangen den Begriff Jutsu zu gebrauchen, um sich von allen sportlichen Formen, die so existieren, abzugrenzen.

Ein zweiter Grund könnte die mangelnde Relevanz einiger Kampfkünste hinsichtlich ihrer „Straßentauglichkeit“ sein. Kampfkünste wie Kyūdō (弓道) und Iaidō (居合道) dienen heute mehr der Entspannung und als eine Art Meditation. Die hier erlernten technischen Fähigkeiten passen in praktischer Hinsicht natürlich nicht mehr so in die heutige Zeit. Nichts desto trotz werden auch hier technische Ziele verfolgt.

Kanō Jigorō, der Begründer des Jūdō schrieb einmal folgendes:

Die 3 Ebenen des Jūdō

Es wurden drei Betrachtungsweisen des Jūdō eingeführt – das Training der Verteidigung gegen Angriffe, die Kultivierung von Körper und Geist und es wurde das höchste Ziel des Jūdō festgelegt – die Perfektion des eigenen Selbst zur Verbesserung der Gesellschaft. Der Einfachheit halber steht ganz unten als Grundlage das Training der Verteidigung gegen Angriffe, Unterstufen-Jūdō genannt. Die Kultivierung von Körper und Geist ist ein Nebeneffekt des Unterstufen-Jūdō, Mittelstufen-Jūdō genannt. Zuletzt kommt das Studium, wie die eigenen Fähigkeiten zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt werden können, Oberstufen-Jūdō genannt.

Wenn das Jūdō in diese drei Ebenen geteilt wird, wird klar, dass Jūdō nicht auf das Training für den Kampf im Dōjō beschränkt ist. Selbst wenn der Körper und der Geist trainiert wird, wird keine höhere Ebene erreicht, dann kann es keinen wirklichen Beitrag für die Gesellschaft geben. Egal wie großartig eine Person ist, wie überragend die Intelligenz oder stark der Körper auch sein mag, stirbt diese ohne irgendwelche Errungenschaften sagt ein Sprichwort „ein ungenutzter Schatz ist ein verschwendeter Schatz“. Es kann behauptet werden, dass diese Person sich selbst perfektioniert hat, aber es kann nicht behauptet werden, dass diese irgendeinen Beitrag für die Gesellschaft geleistet hat. Ich ermahne alle Jūdōka zu erkennen, dass Jūdō aus eben diesen drei Ebenen besteht und in ihrem Training keinen Aspekt über den anderen zu stellen.

Er geht also sogar soweit, dass sein Jūdō bessere Menschen hervorbringen sollte, ein Gedanke der auch für Funakoshi im Vordergrund stand. Für ihn gestaltet sich eine Entwicklung vom Jutsu hin zum Dō. Technische Fertigkeiten allein sind in seinen Augen längst nicht alles.

Die Einheit von Technik, Körper und Geist (Shin Gi Tai) sollte angestrebt werden, so dass Karate für mich sowohl Dō als auch Jutsu, sowohl lebensverlängernd als auch lebenserhaltend in einer Notsituation ist. Aus diesem Grund verzichtet mein Karate auf die Zusätze oder Unterscheidung von Dō und Jutsu.

In diesem Sinne.

2 Kommentare

  1. Hey Holger,

    wieder einmal ein sehr schöner Artikel hinsichtlich unseres geliebten Karate (Dô/Jutsu). Eine Entwicklung des Übenden im Karate sollte sicherlich körperlich/technisch sowie geistig/ persönlichkeitsfördernd erfolgen. Wichtig finde ich in unserer Gesellschaft wichtige Eigenschaften zu fördern und nicht nur alte japanische Werte zu kopieren und „Pseudojapaner“ zu schaffen. Viele japanische Verhaltensregeln sind selten in westliche Gesellschaften zu integrieren. Deshalb steht für meine Karate Lehre am Anfang die Schulung der körperlichen Fähigkeiten im Vordergrund („Jutsu“). Hierbei erfolgt „anstrengungsbedingt“ eine Selektion derer, die in den „Genuss“ einer weiterführenden Lehre kommen. In der weiteren Entwicklung der Schüler treten dann natürlich die Entwicklung der Persönlichkeit (und damit eines aufrichtigen Menschen) und wichtigen Tugenden zunehmend in den Vordergrund (Dô). Da beides sicherlich parallel erfolgt erübrigt sich hiermit eine Unterscheidung in Dô u./od. Jutsu! Hierbei stimme ich Dir zu!
    Bis dahin

  2. Hallo,

    die Unterscheidung ‚Jutsu‘ = Fertigkeit, ‚Do’= Weg/Persönlichkeitsentwicklung ist eine westliche Sichtweise. In Japan bezeichnet ‚Do‘ die modernen Gendai Budo, d.h. Kampfkünste, die während oder nach der Meji Restauration entstanden sind, ‚Jutsu‘ dagegen die Koryu (alte Schulen), also die traditionellen Stile. Beide können sowohl in Hinblick auf Persönlichkeitsentwicklung wie auch als Sport (z.B. Kendo) betrieben werden. Gerade die ‚Do‘ Disziplinen sind eher Sport orientiert.

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