Würfe im Karate

Mo, Apr 25, 2011

7 Kommentare

Leider wird vom Großteil der Karateka nur das Schlagen, Stoßen, Treten und Annehmen (Blocken) geübt. Für den Wettkampf ist sogar nicht einmal das notwendig. Karate selbst ist, in meinen Augen, eine komplette waffenlose Kampfkunst, die eben nicht nur aus Schlagen, Treten und Blocken besteht.

Funakoshi Gichin hielt in seinem Buch „Karate Dō Kyōhan“ folgendes fest.

Schlagen, Stoßen und Treten sind nicht die einzigen Methoden im Karate. Wurftechniken und das Drücken gegen die Gelenke sind ebenfalls ein Bestandteil. […] Man sollte immer daran denken, dass, obwohl das Wesentliche des Karate aus einem einzigen Stoß oder Tritt besteht und man sich niemals von einem Gegner greifen lassen sollte oder sich auf eine Rangelei mit ihm einlassen sollte, man vorsichtig sein und nicht dadurch verlieren sollte, weil man Bedenken hat, einen Wurf anzubringen oder den Gegner in einen Haltegriff zu nehmen. […] All diese Techniken sollten in Bezug auf die grundlegenden Kata studiert werden.

Vielen ist diese Seite des Karate leider nicht bekannt. Selbst unter denjenigen, denen dieser Fakt bekannt ist, trainiert nur ein Bruchteil Würfe, Hebel und so weiter. Auch wenn der primäre Fokus im Karate nicht bei den Würfen liegt, sollten diese Fähigkeiten durchaus ausgebildet werden, um ein entsprechend vielseitiges Arsenal an Möglichkeiten einsetzen zu können, für den Fall der Fälle. Würfe waren von jeher Bestandteil des Karate. Hierzu gibt es sogar recht frühzeitige Augenzeugenberichte.

Im Jahre 1762 hielt ein konfuzianischer Gelehrter in seinen Aufzeichnungen, bekannt als Ōshima Hikki (大島筆記), fest, dass ein Schiff auf dem Weg vom Königreich Ryūkyū nach Satsuma gestrandet war. So weit so unspektakulär. Auf diesem Schiff befand sich allerdings ein Offizier, der von einem chinesischen Gesandten und dessen Kampfkunst berichtete. Bei diesem Gesandten handelte es sich wohl um einen Mann, der als Kūshankū bekannt war. Der Offizier berichtete ausführlich darüber, dass dieser im Jahre 1756 nach Okinawa kam und seine Kampfkunst und einige Schüler mitbrachte. Er berichtet von Demonstrationen dieser Kampfkunst, in der Kūshankū, der wohl ein Grappling Spezialist gewesen sein soll, wenig Mühe hatte auch größere und schwerere Gegner zu besiegen. Da zwischen dieser Zeit und dem Schiffbruch einige Jahre dazwischen liegen, muss die Kampfkunst des Kūshankū einen doch erheblichen Eindruck hinterlassen haben. Eine Methode, die Kūshankū angewendet haben soll, um seine Gegner zu besiegen, ist ein Wurf der im Jūdō als Kani Basami bekannt ist.

Ein weiterer Hinweis auf Würfe findet sich im Bubishi. Viele der alten Meister auf Okinawa waren im Besitz einer Kopie dieses Büchleins und verwendeten es ausgiebig bei ihren Studien zur Kampfkunst. Im Artikel 29 des Bubishi, bei den 48 Kampfdiagrammen, finden sich einige Würfe wieder, unter anderem auch der von  Kūshankū verwendete Wurf. Da die hier aufgeführten Methoden auch in den Kata wieder zu finden sind, ist dies ein klares Indiz dafür, dass Würfe immer schon ein nicht unbekannter Teil des Karate waren.

Beispiele für Würfe aus dem Būbishi

Beispiele für Würfe aus dem Bubishi

Funakoshi Gichin selbst zeigt in seinen Büchern „Ryūkyū Kempō Karate“ (1922), „Rentan Goshin Tōde Jutsu“ (1925) und „Karate Dō Kyōhan“ (1935) einige Würfe auf.
In seinem 1922iger Buch listet er acht Würfe auf:

Neiji-Daoshi (捻倒) – Spiral-Wurf
Kusari-Wa (鎖環) – Kettenschlinge
Tani-Otoshi (谷落) – Talfall
Yari-Dama (槍玉) – Juwelenspieß
Bikko-Daoshi (跛倒) – Lahmen-Wurf
Kubi-Wa (頸環) – Halsschlinge
Ude-Daoshi (腕倒) – Arm-Wurf
Nodo-Osae (咽抑) – Kehlendruck

In seinem zweiten Buch von 1925 zeigt er nur sechs Würfe:

Neiji-Daoshi (捻倒) – Spiral-Wurf
Kusari-Wa (鎖環) – Kettenschlinge
Tani-Otoshi (谷落) – Talfall
Yari-Dama (槍玉) – Juwelenspieß
Kubi-Wa (頸環) – Halsschlinge
Nodo-Osae (咽抑) – Kehlendruck

In „Karate Dō Kyōhan“ sind dann schließlich neun Würfe abgebildet:

Byōbu-Daoshi (屏風倒) – Wandschirm-Wurf (Abbildung)
Koma-Nage (獨楽投) – Kreisel-Wurf (Abbildung)
Kubi-Wa (首環) – Kopfschlinge (Abbildung)
Katawa-Guruma (片輪車) – Krüppel-Rad (Abbildung)
Tsubame-Gaeshi (燕返) – Schwalbenrückkehr (Abbildung)
Yari-Dama (槍玉) – Juwelenspieß (Abbildung)
Tani-Otoshi (谷落) – Talfall (Abbildung)
Ude-Wa (腕環) – Armschlinge (Abbildung)
Saka-Zuchi (逆槌) – Hammerdrehung (Abbildung)

Bemerkenswert ist hierbei, dass sich die Namen mancher Würfe im Laufe der Zeit ändern. Ein Beispiel dafür ist der zuvor in zwei Büchern aufgeführte Neiji-Daoshi. Dieser wurde umbenannt in Koma-Nage. Der vormals als Kusari-Wa angegebene Wurf, wurde in Ude-Wa umbenannt. Sehr verwirrt hat mich anfänglich der vormals als Tani-Otoshi angegebene Wurf. Dieser unterschied sich erheblich von dem in „Karate Dō Kyōhan“ abgebildeten Wurf mit demselben Namen. Hier hat Funakoshi den Tani-Otoshi zum Saka-Zuchi gemacht und einem neuen Wurf den Namen Tani-Otoshi gegeben. Teilweise verändert Funakoshi auch die Schreibweise der Würfe. Während er Kubi-Wa vormals mit dem Kanji 頸 schreibt, verwendet er in „Karate Dō Kyōhan“ das Kanji 首, so dass sich die Bedeutung leicht ändert. Aus der Halsschlinge wurde somit die Kopfschlinge.

Nachfolgend noch einmal eine Übersicht über die in Funakoshis Büchern aufgezeigten Würfe. Ich sortiere bei dieser Übersicht die Würfe nach den neun Würfen aus „Karate Dō Kyōhan“ und füge die darin nicht enthaltenen Würfe hinten an.

1935 1925 1922
Byōbu-Daoshi n.v. n.v.
Koma-Nage Neiji-Daoshi Neiji-Daoshi
Kubi-Wa Kubi-Wa Kubi-Wa
Katawa-Guruma n.v. Bikko-Daoshi
Tsubame-Gaeshi n.v. n.v.
Yari-Dama Yari-Dama Yari-Dama
Tani-Otoshi n.v. n.v.
Ude-Wa Kusari-Wa Kusari-Wa
Saka-Zuchi Tani-Otoshi Tani-Otoshi
n.v. Nodo-Osae Nodo-Osae
n.v n.v. Ude-Daoshi

Mein Dank gilt Henning Wittwer, der mir bei der Klärung von offenen Fragen zu diesem Thema sehr behilflich war.

Es gibt noch einige Würfe mehr, die im Zusammenhang mit einigen Kata trainiert werden, die Funakoshi nicht mit in seine Veröffentlichungen aufnahm. Diese sollten sicherlich nur als Beispiele dienen. Wichtig ist es, die Prinzipien, die einem funktionierenden Wurf unterliegen, zu kennen, um diese dann entsprechend anwenden zu können.

In diesem Sinne.

7 Kommentare

  1. Das sind klare und richtige Worte, danke für die Ausarbeitung.

    Dewa mata

  2. Fritz Oblinger

    Hier wird endlich Aufgezeigt was im Karate, sprich in einer Kata alles verborgen ist. Nicht umsonst wurde laut Sprichwort an einer Kata drei Jahre gelernt.

    • Thomas Landsiedel

      Leider spiegelt sich das nicht in den Prüfungsprogrammen wieder. Wenn ich daran denke, wie viele Kata inzwischen zum 2. Dan „beherscht“ werden müssen, komme ich zum Schluß, daß bei den berühmten 3 Jahren pro Kata ein Leben kaum ausreicht.

      Gruß
      Thomas

      • Kyōhan

        Hallo Thomas,

        ja das sammeln von Kata bringt da wenig. Es kommt die Zeit, da entwickelt man eine gewisse Vorliebe für eine geringe Anzahl Kata. Diese Tokui-Gata können ja dann vertieft studiert werden.

        Gruß Holger

  3. 空手家 Lawton Dowdy

    This is a great and informative article about Karate throws and waza. Oss

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