Geheimsache Karate?

Do, Feb 23, 2012

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Immer wieder wird geschrieben das die Ausübung der Kampfkünste auf Okinawa verboten oder sonst wie unerwünscht gewesen sei. Aus diesem Grund mussten die Adepten der Kampfkünste ihrer Beschäftigung heimlich und unter der allergrößten Vorsicht nachgehen. Aber war dem tatsächlich so? Oft wird den Satsuma, die ab dem Jahre 1609 das Königreich Ryūkyū annektierten und an ihren Lehen angliederten, die Schuld an dieser augenscheinlichen Misere zugewiesen. Doch schauen wir uns mal die nachfolgenden Fakten genauer an.

Die Kampfkunst zu erlernen war ein Privileg, welches unter anderem eine entsprechend noble Herkunft voraussetzte. Das bedeutet, dass weder Bauern, Kaufleute oder Fischer noch andere Menschen gemeiner Herkunft die Möglichkeit hatten sich mit den Kampfkünsten zu beschäftigen. Privatstunden zwischen Meister und Schüler waren die Regel. Trainiert wurde im Hinterhof, in einem Hinterzimmer, am Grab von Vorfahren oder Meistern oder am Strand. Es konnte also nicht jeder die Kampfkunst lernen und schon gar nicht öffentlich. Wenn man sich mal die gesellschaftlichen Positionen der alten Meister anschaut, dann bekommt man schnell einen Überblick.

Matsumura Sōkon war im Range eines Chikudōn Peichin, gleiches gilt für Itosu Ankō,  Matsumora Kōsaku und Aragaki Seishō. Letzterer war beispielsweise Übersetzer am Hof des Königs. Funakoshi Gichin und Kyan Chōtoku wahren Söhne von Beamten welche ebenfalls der Shizoku Klasse zugehörig waren. Chibana Chōshin und Motobu Chōki entstammen sogar der Aji Klasse und Asato Ankō war sogar im Rang eines Tōnchi.

Damit dies besser eingeordnet werden kann, erfolgt nun eine Übersicht hinsichtlich der Gesellschaftsstruktur des Königreiches Ryūkyū. Da diese Struktur relativ komplex und verworren ist, orientiere ich mich an der vereinfachten Form, die Henning Wittwer in seinem Buch „Shōtōkan – überlieferte Texte ~ historische Untersuchungen“ verwendet.

Udōn 御殿
Tōnchi 殿内
Ōji 王子
Aji 按司
Ueikata
親方 (mit 4 Rängen)
Peichin 親雲上 (mit 10 Rängen)
Satōnushi 里之子 (2 Ränge)
Chikudōn 筑登之 (2 Ränge)
Shī
Niya 仁屋
Heimin
平民

Die 10 Peichinränge enthalten dann unter anderem die Ränge Chikudōn Peichin und Satōnushi Peichin. Die Heimin waren dann das niedere Volk.

Des Weiteren waren die Lehren der chinesischen Militärklassiker mit all ihren Strategien ein nicht unwesentlicher Teil der Kampfkunstausbildung. Bei dem klassischen Doppelweg von Kampfkunst und Literatur, Bun Bu Ryō Dō, war also kein Platz für ungebildete Analphabeten. Erst nach Abschaffung des Königreiches begann dieses Privileg aufzuweichen, da sich unter anderem Experten wie Itosu dazu entschlossen sich der Verbreitung der Kampfkunst zu widmen. Schließlich wurde Karate dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in das Schulsystem Okinawas eingeführt.

Im herrschaftlichen Teehaus (Uchayā Udun) in Sakiyama amüsierte sich das Königshaus öfter bei Kampfkunstvorführungen. Es wurde dazu verwendet besondere Festivitäten auszurichten z.B. auch für chinesische Gesandtschaften. Matsumura wurde, nachdem er sich vom aktiven Dienst in den Ruhestand zurückzog, der Verwalter des Teehauses und gab dort auch Unterricht.

In jenem Teehaus fand am 24.März des Jahres 1867, ein Jahr vor der Meiji-Restauration und der damit einhergehenden Abschaffung des Königreiches Ryūkyū, z.B. auch ein großes Fest zu Ehren der Krönung des letzten Königs statt. Bei dieser Gelegenheit wurde das breite Spektrum der Kultur Ryūkyūs in aller Öffentlichkeit präsentiert. Es wurden 47 Aufführungen verschiedener Künste in Shuri abgehalten, unter diesen Aufführungen waren auch zehn, in denen Ti, die Kampfkunst Ryūkyūs, demonstriert wurde.

Diese zehn Auführungen umfassten Waffen-Demonstrationen (Bō, Tinbe,usw. ), Kata-Aufführungen (u.a. Seisan, Suparimpei) und verschiedene Schaukämpfe mit und ohne Waffen. Angemerkt sei hierzu, dass auf der herausgegebenen Programmschrift von Tōdi und nicht von Ti die Rede ist. Diese Aufführungen zu den bewaffneten und unbewaffneten Künsten wurden natürlich ausschließlich von hochgestellten Persönlichkeiten aufgeführt. Kyūsho Jutsu wurde ebenfalls demonstriert. Also war auch das nie geheim.

Laut Funakoshi hatte sein Lehrer Asato eine ziemlich umfangreiche Liste von Kampfkunstexperten, inklusive deren Spezialitäten. Matsumura war als Kampfkunstausbilder des Königs bekannt. Das bedeutet das die Meister bekannt waren.

Als der Shimazu-Clan im Jahre 1609 Ryūkyū annektierte, führte dieser auch die hauseigene Schwertkunst, das Jigen Ryū, ein. Viele der damaligen Bushi, wie beispielsweise Matsumura, Matsumora oder Asato lernten Jigen Ryū von den Satsuma. Die Kampfkunst auf Okinawa und somit auch das heutige Karate wurde demnach nachhaltig von dieser Schwertkunst und somit auch von den Prinzipien des Budō mitgeprägt. Die Armee des Königs war ebenfalls entsprechend ausgerüstet und trainiert, um beispielsweise die Tributmissionen nach China vor den permanenten Piratenangriffen beschützen zu können.

Warum wurden die Kampftechniken und Taktiken dann von den jeweiligen Meistern so sorgfältig gehütet? Das hatte wohl recht praktische Gründe. In seiner Abhandlung zur Kunst des Krieges weist Sun-Tzǔ darauf hin, dass nur derjenige in der Schlacht siegreich ist, der sowohl sich als auch den Gegner kennt. Und wenn andere nichts von den eigenen Stärken wissen, ist man im Vorteil. Asatos Liste kann vielleicht als Beleg dafür dienen, das auch die Geheimhaltung nicht immer von Erfolg gekrönt war.

Die tiefer gehenden Erkenntnisse wurde zumeist mündlich weitergegeben und selten in Buchform niedergeschrieben. Ab und zu wurde schriftlich eine Rolle an den Schüler weitergegeben, wie im Falle Matsumuras, der seinem Schüler und Nachfolger im das Amt des königlichen Leibwächters, Ryōsei Kuwae, ein solches Schriftstück hinterließ. Heutzutage wird vieles in Büchern und auf DVD gezeigt, so dass die vormals geheimen oder nur in kleinen Gruppen bekannten Informationen einer breiten Masse zugänglich sind. Wer heutzutage noch Geheimnisse zu verkaufen versucht, der ist wohl nicht ehrlich. Da die wenigsten Karateka einer alt überlieferten Übertragungslinie entstammen, sind solch geartete Geheimnisse dann wohl eher moderner Herkunft und dementsprechend moderne Erkenntnisse und Interpretationen.

In diesem Sinne.

  • Ueikata 親方

5 Kommentare

  1. Mirko

    Hallo Holger,
    wenn man Deinem und H. Wittwers Ansatz folgt, dann dürfte Entsprechendes auch für das Kobudo gelten, das sich von der Entwicklung des Ti wohl ohnehin nicht trennen lässt. Ich habe nie für plausibel gehalten, dass Sai, Bo, Tonfa etc. aus den Arbeitsgeräten der Bauern, Fischer, Handwerker entstanden sind.
    Gruß, Mirko

    • Kyōhan

      Hallo Mirko,
      dies gilt selbstverständlich auch für die Waffenkünste.

      Erstens was will jemand, der nobler Herkunft ist, mit bäuerlichen Geräten? Er kann auf eine Plethora an Waffen zurückgreifen (Schwert, Stock, usw.). Viele der verwendeten Waffen wurden aus China importiert bzw. waren schon vorher vorhanden (Stock und Schwert z.B.). Das Nunchaku ist z.B. eine Waffe die sich die Zentrifugalkräfte zu nutze macht. In Europa wäre eine vergleichsweise ähnliche Waffe der Morgenstern.

      Zweitens, angenommen es hätte tatsächlich ein Waffenverbot gegeben, sollten die Satsuma Samurai wirklich so leicht hinters Licht zu führen gewesen sein, in dem man einfach behauptet hat, die Waffe, die man in der Hand hat, ist für die tägliche Arbeit auf dem Feld? Ich glaube nicht.

      Nach Abschaffung des Königreiches verarmten viele vormals wohlsituierte Mitglieder der Shizoku-Klasse und mussten sich u.a. als Tagelöhner in der Landwirtschaft verdingen. Vielleicht nutzten diese diverse Dinge als Waffen um im Training zu bleiben, denn ein gut ausgebildeter Kämpfer kann so ziemlich alles als Waffe gebrauchen und wenn es heutzutage nur eine zusammengerollte Zeitung ist . Er unterscheidet dann vielleicht noch zwischen Lang- und Kurzwaffen, selbst ein Stein kann als ballistische Waffe dienen.

      Gruß Holger

      • Mirko

        Hallo Holger,

        danke für Deine Antwort.
        Wenn die landläufig und irrtümlicherweise angenommene Entwicklung bei den Kobudo-Waffen falsch ist, d.h., dass man aus den Arbeitsgeräten und Alltagsgegenständen durch einen Genie-/Geistesblitz Sai, Tonfa, Tinbe, Nunchaku etc. bastelte. Dann werfe ich mal meine paar Cent in die Arena und stelle die Vermutung an, dass es umgekehrt war: Die genannten Kobudo-Waffen wurden entwickelt, um Alltagsgegenständen bzw. ihren Bewegungsprinzipien (z.B. Zentrifugalkraft eines Gegenstandes an einer Kette oder einem Seil) möglichst nahe zu kommen. Dadurch wurde der versierte Kobudoka in die Lage versetzt, mit nahezu allem, was er gerade zur Verfügung hat – wie Du schreibst: auch mit einem Stein – auf Angriffe zu antworten für den Fall, dass er ohne Schwert dagestanden hat. Erst dann, wenn alle Stränge gerissen sind und nichts mehr da war außer seiner bloßen Hand, dann kamm das Ti-Superman-Makiwaragehärtete-Hand/Fuß-Backup-System zum Einsatz. Merke: Kobudo=Simulation der Alltagswelt.

        Gruß, Mirko

        • Kyōhan

          Hallo Mirko,

          die Waffen, welche heutzutage als Waffen des Ryukyu-Kobudo bekannt sind, wurden aus China importiert. Das heißt sie wurde nicht auf Okinawa entwickelt. In der Regel lernte man wohl zu allererst den Umgang mit Langwaffen (Stock, Speer, Hellebarde), danach den Umgang mit Kurzwaffen (Schwert usw.) und zu guter Letzt natürlich den Kampf ohne Waffen.

          Wenn man die Stärken und Schwächen der Langwaffen verstanden hat, dann ist es nicht schwer einen langen Gegenstand als Langwaffe zu gebrauchen. Selbiges gilt für Kurzwaffen, Zentrifugalwaffen und ballistische Waffen. Durch das erlernen des Waffenhandwerks allgemein war ein geübter Kämpfer in der Lage, so ziemlich alles in eine Waffe zu verwandeln. Das ist keine Eigenschaft die nur speziell auf Kobudowaffen zutrifft, sondern dies trifft auf alle Waffen zu.

          Nun traf es sicher zu, dass es wohl einfacher war sich irgendwo einen Gegenstand zu besorgen, welcher den Kobudowaffen ähnelt als vielleicht ein Ersatzschwert, das bedeutet allerdings nicht, dass das Nunchacku aus einem Dreschflegel entstand. Vielmehr wurde wohl, wenn überhaupt, bemerkt, dass der Dreschflegel ähnliche Merkmale wie ein Nunchaku hat und so wurde dieser als eben ein Nunchaku verwendet.

          Der Kampf ohne Waffen, war natürlich dann das letzte Mittel, falls man seine Waffe verloren hatte, bzw. diese zerstört wurde. Ziel war es hier natürlich sich so schnell wie möglich eine andere Waffe zu besorgen.

          Gruß Holger

  2. Hey Holger,

    wieder mal ein sehr informativer Artikel! Weiter so
    Grüße

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