Bassai und Festung stürmen?

Mo, Nov 15, 2010

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Da sich die genaue Überlieferung des Karate problematisch gestaltete, auf Grund der Tatsache, dass die Weitergabe von Wissen zum größten Teil mündlich erfolgte und auf Grund von fehlenden schriftlichen Dokumenten, entstanden auch Probleme beim Schreiben der Katanamen. Da Karate auf Okinawa als Symbiose der einheimischen Kampfkünste und chinesischen Einflüssen entstand, sind die Namen der heutigen Kata wahrscheinlich chinesischen Ursprungs oder entstammen der okinawanischen Sprache, dem Uchinaaguchi. Sofern die alten Meister auf Okinawa vielleicht doch einmal den Namen einer Kata aufschrieben, verwendeten sie die chinesischen Schriftzeichen dazu. Diese Annahme basiert auf der Tatsache, dass China und das Königreich Ryūkyū (Okinawa) einen recht regen Handels- und Kulturaustausch betrieben. Des Weiteren bekleidete ein Großteil der damaligen Tōde (Karate) Meister hohe Ämter im Palast von Shuri und es kann davon ausgegangen werden, dass sie somit wohl des Schreibens mächtig waren.

Als Karate dann nach Japan exportiert wurde, hatten die Japaner mit ziemlicher Sicherheit einige Probleme die Namen der Kata niederzuschreiben. Das war mit Sicherheit auch einer der Gründe, weshalb Funakoshi Gichin dazu überging, die Namen der Kata, wie sie auf Okinawa verwendet wurden, durch japanische Namen zu ersetzten. In seinem Buch „Karate Dō Kyōhan“ schrieb er folgendes zu diesem Thema.

In der Vergangenheit hatten die Kata Namen wie z.B. „Pinan“, „Seishan“, „Naihanchi“, „Wanshu“, „Chinto“ usw. welche mündlich überliefert wurden. Allerdings sind die Bedeutungen dieser Namen unklar und zu Lehrzwecken außerdem verwirrend. Des Weiteren hat sich Karate in den letzten Jahren zu einer eigenen japanischen Kampfkunst entwickelt und deshalb möchte ich nicht länger an den alten, traditionellen und unverständlichen Namen, chinesischer Herkunft, festhalten.

Bedenkt man nun, das die meisten Kata einen chinesischen Ursprung haben, dann ist es eigentlich logisch, dass die Namen der Kata in Japan mit Katakana geschrieben werden müssten. Für die Transkription von Fremdwörtern und ausländischen Namen wird in Japan ein eigenes Silbenschriftsystem, das Katakana verwendet. Wenn sich nun jemand seinen Namen in Japanisch auf seinen Gürtel sticken lässt, dann wird eben auch dieser Name in Katakana geschrieben. Holger wird z.B. so geschrieben: ホルガー und als „Horugaa“ gelesen.

Es ist also demzufolge sinnlos zu versuchen chinesische oder okinawanische Begriffe aus dem japanischen ins deutsche zu übersetzen, da diese ja selbst in Japan Fremdwörter sind. Wie dem auch sei. Versucht wird es trotzdem immer wieder und auch heute noch werden für die Namen der meisten Kata noch die chinesischen Schriftzeichen (Hanzi) verwendet. Nimmt man zum Beispiel die Kata Bassai, auch Passai genannt, dann werden am häufigsten diese Zeichen verwendet.

抜塞 – beseitigen, herausreißen und Hindernis, Grenze, Festung
披塞 – öffnen, brechen und Hindernis, Grenze, Festung

Die Bedeutung wird jedoch allgemein mit „Festung stürmen“ oder „Mauer einreißen oder zerstören“ angegeben. Auch im englischsprachigen Raum wird es oft mit „to penetrate a fortress“ übersetzt. Schaut man sich die Kanji allerdings genauer an, so bedeuten diese beiden Schriftzeichen eher soviel wie „Hindernis beseitigen/überwinden“. Mit der Idee des Mauer Einreißens würde ich auch noch mitgehen, da es im Sinne der Beseitigung eines Hindernisses oder einer Deckung einhergeht.

Und in der Tat scheint der Name der Kata diese recht gut zu charakterisieren. Schaut man sich die Anwendungsmöglichkeiten der in der Kata gezeigten Bewegungen an, so eignen sich diese in der Tat hervorragend dazu die Deckung des Kontrahenten zu beseitigen. Mit Techniken wie z.B. dem Shuto Uke oder auch der Shōtōkan Version des Uchi Ude Uke lassen sich gegnerische Arme relativ leicht unter Kontrolle bringen bzw.  beseitigen.

Als ein weiteres Beispiel zu diesem Thema soll nun noch die Pinan/Heian Kataserie herangezogen werden. Iain Abernethy hat eine sehr interessante These aufgestellt, bezüglich der Bedeutung des Namens der Pinan/Heian Kata. Er geht davon aus, dass die alten Meister einen größeren Bezug zur chinesischen Kultur hatten, als zur japanischen. Dies spiegelt sich unter anderem auch darin wieder, dass Karate früher als Tōde (Karate) bezeichnet wurde, was chinesische Hand bedeutete. Also wenn man Pinan (chin. Ping’ān) nun aus dem chinesischen ins deutsche übersetzt, dann bedeutet es soviel wie „Sicher vor der Bedrohung“. Das Ergebnis der Übersetzung aus dem japanischen lautet „Friede“.

平安 – friedvoll, flach und friedvoll, leise

Ping’ān soll wohl auch eine chinesische Redewendung sein, die oft bei der Verabschiedung von Freunden verwendet wird, mit der Bedeutung „kommt gut/sicher nach Hause“.

Funakoshi schreibt in seinem Buch „Karate Dō Kyōhan“ folgendes über die Pinan/Heian Kata.

Derjenige der diese fünf Kata gemeistert hat, kann sicher sein, dass er sich in den meisten Situationen souverän selbst verteidigen kann. Die Bedeutung des Namens sollte in diesem Zusammenhang verstanden werden.

Die Pinan Kata sind Itosus Meisterwerk, also sollte die Ausbildung in den Pinan Kata einen umfangreichen Selbstschutz gewährleisten können. Aus diesem Grunde finde ich, dass „Sicher vor Bedrohung“ ein sehr passender Name für diese Kataserie ist. Als friedvoller Geist oder Englisch „peacefull mind“ kann es nicht übersetzt werden, wie es jedoch häufig der Fall ist, da die Bedeutung von „Geist“ nicht in den Schriftzeichen vorkommt.

In diesem Sinne.

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