Um die Entwicklung des Karate nachzuvollziehen ist der Blick in die Geschichte unerlässlich. Geographische, politische, soziale und kulturelle Hintergründe sollten ebenso berücksichtigt werden. Im Königreich Ryūkyū wurde all dies in den so genannten „Omoro Sōshi (おもろさうし)“ in Form von Versen und Gedichten festgehalten. Diese Aufzeichnungen bieten einen exzellenten Einblick und dienen als Fenster in eine andere Zeit. Gleichzeitig kann auch hierbei mit dem ein oder anderen Karate-Mythos aufgeräumt werden.
In diesem Artikel soll es um ein 1509 errichtetes Denkmal gehen. Dieses wurde zu Ehren des Königs Shō Shin errichtet und huldigt seinen Verdiensten. Um das alles einordnen zu können, erfolgt zunächst ein ganz kurzer geschichtlicher Abriss.
Im Laufe des 14. Jahrhunderts kristallisierten sich drei kleine Königreiche auf Ryūkyū heraus: Hokuzan (北山), Chūzan (中山) und Nanzan (南山). Diese Ära nennt man auch Sanzan Jidai (三山時代).
Hokuzan (北山) – nördlicher Berg
Chūzan (中山) – zentraler Berg
Nanzan (南山) – südlicher Berg
Auf Grund von mangelnden natürlichen Ressourcen, entwickelte das Königreich Chūzan Handelsbeziehungen mit China. Die drei Königreiche standen permanent in Konflikt miteinander. Shō Hashi, der Herrscher von Chūzan, begann daraufhin seine Macht darauf zu verwenden das ganze Land zu vereinigen. Dies gelang ihm schließlich im Jahre 1429. Als Herrscher des Gesamtkönigreichs Ryūkyū gründete er die erste Shō-Dynastie.
Er konzentrierte sich weiterhin auf den Handel mit China, Japan und Korea und baute ein Handelsnetz auf, dass sogar den gesamten Südseebereich abdeckte. So kam es das es die Händler mit ihren Schiffen bis nach Java, Sumatra, Siam (Thailand), Annam (Vietnam), Malaya (Malaysien) und die Philippinen verschlug. Nichts desto trotz blieb die erste Shō-Dynastie eine Militärmacht und Shō Hashi verpasste es ein entsprechendes politisches System aufzubauen, in dem die ehemaligen Rivalen eingebunden sind, um eine gewisse Stabilität zu erreichen. Innerhalb der ersten Dynastie gab es in den 60 Jahren seines Bestehens insgesamt unzählige rebellische Aufstände und neun Kriege, die alle militärisch niedergeschlagen wurden. Die große Last und daraus resultierenden Unruhen führten zum Fall der ersten Dynastie.
Im Jahre 1470 löste Shō En den bisherigen König ab und gründete die zweite Shō-Dynastie. Shō En war ein fähiger Herrscher, er stabilisierte das Reich und brachte den einstigen Wohlstand wieder. Dessen Sohn Shō Shin bestieg 1477 oder 1478 den Thron und zentralisierte die Regierung. Er verlangte von den regionalen Herrschern nach Shuri zu ziehen, so das diese nun unter seiner ständigen Kontrolle waren. Mit dieser Maßnahme beendete er die internen Rivalitäten der lokalen Fürsten und befriedete das Land. Unter seiner Herrschaft wurde der Handel weiter vorangetrieben und das Königreich erlebte eine goldene Ära in Frieden großem Wohlstand.
Aus diesem Grund wurde ihm zu Ehren dieses Monument errichtet. In diesem Monument wurden die „11 Errungenschaften seiner (Shō Shin’s) Zeit“ verewigt und die Inschrift enthält folgende Informationen.
Die Erscheinung unseres Königs Shō Shin ist erhaben und klar erkennbar, er ist intelligent und sehr freundlich. Seine Vorzüge gleichen denen der drei Könige und sein Name ist in den vier Vierteln dieser Welt bekannt. Er verdient es in der Tat als weiser Herrscher bezeichnet zu werden. Sein Mitgefühl fließt wie der Fluss und ist so weit wie der Ozean. Beim Anblick des Wohlstandes seines Hofes kommen Ehrfurcht und Bewunderung bis in alle Ewigkeit auf. Auf Grund sorgfältiger Beobachtung stellen seine demütigen Untertanen ehrfürchtig fest, dass es elf hervorragende Leistungen dieser Generation gibt, welche die Leistungen früherer Generationen übertrifft.
1. Er glaubt an Buddha und hat ein Abbild des Buddha geschaffen. Er hat Tempel gebaut und sie mit Gold überzogen. Buddhistische Tempel, Kammern für die Priester, Bibliotheken für die Sutren und Glockentürme stehen Seite an Seite aufgereiht in architektonischer Pracht. Der amtierende Herrscher schenkt den drei Kostbarkeiten, dem Gesetz und der Priesterschaft Zuwendung. Er vereint die Geister des Kaisers Han Ming Ti und des Kaisers Liang Wu Ti aus dem alten China.
2. Er führte korrekte Umgangsformen bei den Versammlungen mit seinen Beamten ein und senkte die Steuern zum Wohle seines Volkes. Es vergeht nicht ein einziger Tag an dem er nicht die Verwaltung seiner Familie und die Regierungsaufgaben seines Landes übernimmt. Daher blickt die Masse seines Volkes zu ihm auf, wie zur Sonne und zum Mond und hunderte seiner Beamten verehren ihn, wie ihre eigenen Eltern. Dies ist in der Tat ein sehr harmonisches und vertrautes Verhältnis zwischen den Hohen und den Niederen.
3. Im Südwesten liegt ein Land mit dem Namen Taipingshan (die heutigen Yaeyama Inseln). Im Jahr des Affen (1500) sandte er eine Expedition von einhundert Kriegsschiffen um sie zu bestrafen. Die Einwohner gaben auf und unterwarfen sich ihm. Im Jahr darauf kamen Sie und zahlten ihre Abgaben in Form von Getreide, Textilien und Frondienstarbeiten. Unser Land ist mächtiger und wohlhabender als jemals zuvor.
4. Brokat und gestickte Seide werden für Gewänder verwendet. Gold und Silber werden für Bedarfsgegenstände verwendet. Schwerter, Bögen und Pfeile werden ausschließlich als Waffen zur Verteidigung des Landes gesammelt. In Finanz- und Rüstungsangelegenheiten übertrifft unser Land andere Länder.
5. Eintausend Beamte wurden mit Rängen am Hof ausgezeichnet und einhundert Beamte wurden in Ämter berufen. Die Adligen und die Gewöhnlichen, die Hohen und die Niederen, ihre Ränge sind geordnet an Hand von gelben und roten Kappen und goldenen und silbernen Haarnadeln. Dies ist das System der Ränge für zukünftige Generationen.
6. Exotische Blumen werden in Töpfen angebaut und seltene Bäume werden in Hecken angeordnet. Gold und Silber wird beim Bau von kleinen Booten verwendet und Yao’s Zinnober sowie Shun’s Purpur gibt es in Übersee. Kupfer wird für die Verzierung von kleinen Muscheln verwendet und Blumen aus den Hecken werden in deren Löcher platziert. Im vorderen Palastbereich und in den hinteren Kammern ist Frühling während der vier Jahreszeiten. Es duftet bei der königlichen Besichtigung.
7. Innerhalb des inneren Gartens steht ein Tempel und eine Landschaft, bestehend aus Hügeln und Gewässern wurde angelegt. Dies ist ein herrlicher Ort für das königliche Vergnügen.
8. Ein Festessen mit acht exotischen Früchten und neun Gefäßen wurde veranstaltet und Schätze aus Münzen, Seide, Gewändern und Schärpen wurden verteilt. Es gibt duftenden Tee in Krügen und ausgezeichnete Weine in Fässern. Schriftrollen wurden aufgehangen und Musik spielte in den Gängen. Dies alles ist zu Ehren der Gäste und dient dem Vergnügen der Untertanen. Zeugt dies nicht von großem Wohlstand?
9. Unsere Reise nach China und unsere Ehrerbietung dem großen Ming gegenüber ist dem geschuldet, dass wir Tribute während der Hungwu Periode zahlten und die königliche Amtseinsetzung während der Yunglo Periode erfolgte. Seither wurde einmal aller drei Jahre ein Gesandter geschickt der Tribute überbrachte. Als der regierende Kaiser den Thron bestieg, schickte unser König Gesandte, um Glückwünsche bezüglich der Krönung ausrichten zu lassen. Um ihm außerdem seine Aufrichtigkeit zu beweisen, wurden Tribute von angemessenem Wert überreicht. Zu dieser Zeit änderte sich die Anzahl der Tributmissionen von einmal aller drei Jahre zu einmal jährlich. Der Grund hierfür ist die Stärkung der nationalen Beziehungen durch mehr Kontakt mit China.
10. Chinesisches Brauchtum wurde in Hinblick auf die Anpassungen der Gepflogenheiten auf dieser Insel übermittelt. Aus diesem Grund werden Hofzeremonien an jedem ersten und fünfzehnten Tag des Monats abgehalten. Hier werden von den Beamten zwei Reihen, zur linken und zur rechten Seite des Hofes, den Rängen entsprechend gebildet. Diese sind besonders dazu da, dem König ein langes Leben zu wünschen.
11. Um die kaiserlichen Paläste nachbilden zu können, wurden für die Balustraden, die den unteren Bereich des Palastes bilden, blaue Steine gehauen und verwendet. Dies ist ein Zeichen großen Wohlstands und konnte so in der Vergangenheit nirgends bezeugt werden.
Die elf oben aufgelisteten Errungenschaften sind den gewaltigen Vorzügen unseres Königs und den großen Leistungen seiner loyalen Untertanen geschuldet. In der Vergangenheit wurden Herrscher mit solchen Vorzügen und Untertanen mit großartigen Leistungen in den Geschichtsbüchern verewigt, so dass sie als Vorbilder für kommende Generationen dienen können. Jetzt ist der Herr von Chūzan ein tugendhafter Weiser und seine Untertanen sind loyal mit großen Verdiensten. Es gibt keinen Grund warum dies nicht als Erinnerung für spätere Generationen in Stein gemeißelt werden sollte. Dementsprechend wurden neben den Balustraden Worte gewählt, um die elf Errungenschaften zu beschreiben und eine Inschrift wurde auf einer der Säulen der Balustrade verewigt.
Unter der Herrschaft Shō Shin’s soll es angeblich auch ein Waffenverbot gegeben haben. Bei einem Blick auf die oben genannten elf Artikel stellen sich mir unter anderem folgende Fragen.
Wäre ein solches Waffenverbot, sollte es dem Frieden gewährleisten, nicht ebenfalls eine herausragende Leistung Shō Shin’s gewesen, die ebenfalls Erwähnung hätte finden müssen?
Wen hätte er entwaffnen sollen? Im zweiten Artikel wurde für die Nachwelt festgehalten, dass Shō Shin bei seinem Volk sehr beliebt war. Er senkte die Steuern zum Wohle des Volkes und war ein fähiger Herrscher. Die ehemaligen rivalisierenden Provinzfürsten mussten alle nach Shuri umziehen, so dass Shō Shin einen direkten Einfluss auf sie hatte. Sie wurden außerdem in der Verwaltungsstruktur der Regierung mit Ämtern am Hof ausgestattet. Dies findet im fünften Artikel Erwähnung. Hier wird sicherlich der ein oder andere ehemalige Rivale oder einer der Verwandten einen Posten oder eine hohe Position in der Armee des Königs erhalten haben. In so einer Position wäre das Besorgen von Waffen sicherlich kein Problem gewesen. Warum sollte er also ein Waffenverbot aussprechen?
Im dritten Artikel wird eine interessante Begebenheit geschildert. Eine Flotte von einhundert Kriegsschiffen wurde nach Yaeyama geschickt, um für Ordnung zu sorgen. Im neunten Artikel werden die Tributmissionen nach China erwähnt. Auf diesen Tributmissionen waren die Schiffe immer mit entsprechend wertvollen Waren beladen, was nur all zu häufig die Wakō (Piraten) anlockte, die sich eine fette Beute erhofften. Gleiches galt für die Handelsmissionen, welche in der gesamten Südsee unterwegs waren. Die Schiffe hatten auf Grund der ständigen Gefahr und der Sorge vor Übergriffen durch die Piraten immer bewaffnete Soldaten mit an Bord und waren also mit dem entsprechenden Schutz unterwegs. Dazu mussten die Soldaten allerdings ausgebildet und ausgerüstet werden. Das erfordert natürlich den Einsatz von Waffen.
Im vierten Artikel wird erwähnt, dass Waffen zur Verteidigung gesammelt wurden. In Sachen Finanzen und Rüstung war das Königreich Ryūkyū angeblich anderen Ländern überlegen. Das bedeutet, dass Waffen auch auf den zahlreichen Handelsmissionen erworben werden konnten. War es da tatsächlich notwendig auch die Waffen von Privatpersonen einzusammeln?
Das Königreich Ryūkyū befand sich zur Zeit der Herrschaft des Shō Shin auf seinem Höhepunkt. Es hatte sich zu einer Handelsmacht entwickelt und war auch militärisch recht gut ausgerüstet. Es gibt keine stichhaltigen Beweise für ein Waffenverbot unter seiner Herrschaft. Aber wie kam es zu der Annahme es hätte ein Waffenverbot gegeben?
Eine Theorie besagt, dass die Annahme auf einem Übersetzungsfehler des hochgeachteten Okinawaologen und Sprachwissenschaftlers Fuyū Ifa basiert. Er übersetzte wohl statt „Gold und Silber werden für Bedarfsgegenstände verwendet. Schwerter, Bögen und Pfeile werden ausschließlich als Waffen zur Verteidigung des Landes gesammelt.“ wohl „Schwerter, Bögen und Pfeile werden gesammelt und es werden Bedarfsgegenstände daraus gefertigt.“. Dies führte wohl zu der Annahme, dass die Waffen konfisziert wurden und beispielsweise zu Farmgeräten umgearbeitet wurden.
Nicht wenige gehen auch noch von einem zweiten Waffenverbot unter der Vorherrschaft der Satsuma-Samurai aus. Dieses betrachte ich aber genauer in einer der nächsten Artikel.
In diesem Sinne.
2 Kommentare
Na langsam dürfte sich der Mythos von den Bauern Okinawas, die nach 16 Stunden Arbeitseinsatz auf ihren Feldern nach Feierabend noch schnell ein hochwirksames Selbstverteidigungssystem entwickelt haben wohl erledigt haben; denn schließlich mussten ja alle Bewohner der Insel ihre Waffen abgeben (Mythos I) oder durften unter der Besetzung durch Japaner keine tragen (Mythos II). Danke für Deinen Post! Sehr aufschlussreich! – Wie immer…
Da die Mehrheit der Bewohner Zivilisten waren, werden die keine großen Waffenarsenale zu Hause gehabt haben. Heutzutage ist doch das Besitzen und Tragen von Waffen auch eher Sache der Polizei oder der Armee.