Die Entstehung der Pinan-/Heian-Gata

Sa, Sep 21, 2013

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Viel wurde spekuliert über die Entstehung der Pinan-/Heian-Gata. Geschaffen wurde diese Fünferreihe von Itosu Ankō, hierin besteht kein Zweifel. Wie diese Kataserie allerdings genau entstand, ist eine Sache bei der sich die Geister scheiden. Es gibt eigentlich drei Haupttheorien. Theorie 1 besagt, dass Itosu die fünf Pinan-/Heian-Gata aus der Kūshankū/Kankū Dai geschaffen haben soll. Theorie 2 folgt der Annahme, dass Itosu sie aus einer älteren Kata schuf, die Channan genannt wurde. Bei der dritten Theorie wird davon ausgegangen, dass sie eine Art „Best of Shōrin Ryū“ sind und Itosu hier die besten Methoden seines Kampfsystems in diese fünf Kata steckte.

Schauen wir uns doch einmal an, was die alten Meister zu diesem Thema zu berichten wußten.

Nakama Chōzō erklärte Mark Bishop, dem Autor des Buches „Okinawan Karate – Teachers, Styles and Secret Techniques“, das Itosu eine Kata namens Chiang Nan von einem Chinesen lernte und diese dann in fünf Kata teilte und diese Pinan nannte, da Chiang Nan zu schwer auszusprechen war. Miyahira Katsuya bestätigte Bishop ebenfalls, dass Itosu von einem Chinesen lernte und die fünf Pinan-Gata schuf.

In Nakasone Genwas 1934 erschienenden Karatemagazin “Karate Kenkyū” wurde folgendes von Motobu Chōki geschildert: Hier erzählt er von einem Treffen mit seinem alten Lehrer Itosu. Ein paar Schüler des Meisters kamen vorbei und wurden aufgefordert eine Kata zu zeigen. Folgendes soll Motobu nun zu seinem Meister gesagt haben.

“Ich lernte eine ähnliche Kata, die sich Channan nennt. Diese Schüler haben fast die gleiche Kata vorgeführt, aber es gab einige Unterschiede.”

Itosu soll folgendes darauf geantwortet haben:

“Du hast recht, diese Kata unterscheidet sich etwas von der Channan. Die Kata die du eben gesehen hast, habe ich geschaffen und meine Schüler sagten mir, der Name Pinan wäre passend, somit habe ich ihr diesen Namen gegeben.”

Sōken Hohan teilte Bishop mit, dass er von seinem Onkel, Matsumura Nabe, folgende Kata erlernte, die dieser wiederum von seinem Großvater, Matsumura Sōkon, erlernt haben soll. Pinan Shodan und Nidan, Naihanchi Shodan, Nidan und Sandan, Chintō, Kūshankū, Passai Dai, Passai Shō, Seisan, Rōhai Jō, Rōhai Chū, Rōhai Ge sowie Gojūshihō und Hakūtsuru.

Laut Sakagami Ryūshō entwickelte Itosu die Pinan aus der Kūshankū in dem er Teile dieser alten Kata nutzte und das Ergebnis eigener Forschungen mit einbrachte. Die Pinan waren wohl vormals unter dem Namen Channan bekannt, wurden allerdings wohl später entsprechend umbenannt. An anderer Stelle hält er dann allerdings fest, dass der Ursprung der Channan in einer militärischen Abhandlung über die Ausbildung zum Kampf, dem „Chi-Hsiao Hsin-Shu“ des Generals Ch’i Chi Kuang, zu finden sei.

Auch die alten Meister hatten offensichtlich unterschiedliche Meinungen dazu, wie die Pinan-/Heian-Gata entstanden. Da allerdings Kata wie Rōhai und Chintō nicht von Matsumura Sōkon unterrichtet wurden, sind Sōkens Aussagen mit Vorsicht zu genießen. Daher gehe ich nicht davon aus, dass Matsumura bereits Pinan Shodan und Nidan unterrichtete bzw. zwei Versionen der Channan. Hier neige ich dazu den Aussagen von Motobu, Nakama und Mayahira Glauben zu schenken.

Henning Wittwer stellt in seinem Buch „Shōtōkan – überlieferte Texte ~ historische Untersuchungen (Band 1)“ eine sehr interessante Theorie auf, die im folgenden kurz skizziert werden soll. Er folgt dem Ansatz Sakagamis und stellte Untersuchungen basierend auf General Ch’i Chi Kuangs „Chi-Hsiao Hsin-Shu“ an. Dieses erschien im Jahre 1562. Hierbei stellte er fest, dass die 32 hier aufgezeigten Positionen des „Ch’ang Ch’üan – Boxen der langen Faust“ sowohl in den Pinan-/Heian-Gata als auch in der Kūshankū vorkommen, bzw. das einige ausschließlich in der einen oder der anderen vorkommen. Daraus schließt er, dass es sich bei den Pinan-/Heian-Gata oder besser um deren Vorgänger Channan um eine Schwestern Kata der Kūshankū handeln muss.

Auf folgende Art und Weise soll das Boxen der langen Faust seinen Weg in das Königreich Ryūkyū gefunden haben. Da General Ch’i Chi Kuang seine 32 Positionen zur Grundausbildung der Soldaten nutzte und er für etliche Schlachten im ganzen Land Soldaten rekrutierte, verbreitete sich das Ch’ang Ch’üan in ganz China. Da es sehr praktikabel war, wurde es auch in den folgenden zweihundert Jahren für die Ausbildung von Soldaten genutzt und mit Sicherheit auch weiterentwickelt. Das Boxen der langen Faust war also auf dem chinesischen Festland sehr weit verbreitet. Die erwähnten 32 Positionen fanden ihren Weg sogar in ein weiteres militärisches Werk, das alte Bubishi, welches 1621 veröffentlicht wurde.

Wittwer tendiert aus bestimmten, nicht genannten Gründen dazu Sōken zu glauben und skizziert nun den nachfolgenden Verlauf. Im Jahre 1756 reiste ein gewisser Militärattaché, Kung Hsiang Chün eher bekannt als Kūshankū, nach Ryūkyū und unterrichtete einen Mann, später bekannt als Karate Sakugawa, in den Methoden des Boxens der langen Faust. Da er hochrangiges Mitglied beim Militär war, müssen ihm die Methoden des Ch’ang Ch’üan bekannt gewesen sein. Entweder lehrte jener Militärattaché seine Methode bereits mit Hilfe zweier Formen oder Sakugawa selbst formulierte zwei Formen um die gelernten Fertigkeiten weitergeben zu können. Eine der Formen wurde nach dem Lehrer benannt, also Kūshankū und eine nach der Methode, also Ch’ang Ch’üan und später Channan. Matsumura wurde dieser Theorie zufolge von Sakugawa in den beiden Formen unterwiesen und zerteilte die Channan wiederum in zwei Formen auf. Als Itosu unter Matsumura lernte, wurden ihm dann unter anderem die Kūshankū, als auch die beiden Channan beigebracht. Da Itosu nur kurz unter Matsumura lernte und sein eigentlicher Lehrer Gusukuma aus Tomari war, erlernte er weitere Methoden, die er in sein Konzept von der Kampfkunst mit aufnahm. So schuf er neben der Kūshankū Matsumuras noch eine weitere Variante und aus den beiden Channan die fünf stufige Pinan Serie.

Wittwers Theorie wirft einige Fragen auf. Wenn Sakugawa die Channan, so wie die Kūshankū auch, erlernt und an Matsumura weitergegeben hat, warum existieren heutzutage nicht genauso viele Versionen der Channan wie von der Kūshankū? Nun vielleicht hat er sie nicht oft gelehrt und nur an Itosu weitergegeben. Das würde ich allerdings ausschließen, da Itosu wohl nur recht kurz unter Matsumura gelernt hat. Warum sollte er die Kata ausgerechnet an Itosu weitergeben, wenn andere Schüler länger bei ihm lernten? Vielleicht lag es auch daran, dass Matsumuras Schüler für die Geschichtsschreibung weniger wichtig waren als die Person des Itosu Ankō und deren Lehren verloren gingen. Auch das halte ich für unwahrscheinlich, da beispielsweise ein Asato Ankō ein wichtiger Schüler Matsumuras war und Channan nicht erwähnt, wohingegen er Kata wie Naihanchi, Seisan, Passai und Kūshankū, alles Kata die Matsumura lehrte, auflistet.

In Itoman Morinobus 1934 erschienenem Buch „Karate Jutsu no Kenkyū“ ist eine lange Liste von Kata entalten. In dieser Liste steht eine Yoshimura Channan. Bei diesem Yoshimura könnte es sich um Yoshimura Chōgi (1866 – 1945) handeln. In Nakamoto Masahiros „Okinawa Kobudo“ wurde festgehalten, dass Yoshimura ein Schüler von Matsumura Sōkon und Ishimine Shinchi (1812 – 1892) war. Jener Ishimine soll wohl auch mit Karate Sakugawa in Beziehung gestanden haben. Die Frau seines ältesten Sohnes soll wohl die älteste Tochter Sakugawas gewesen sein. Vielleicht haben wir hier eine Verbindung der Channan zu Sakugawa und Matsumura.

Alles in allem deutet der Mangel an weiteren Versionen der Channan eher daraufhin, dass Itosu die Channan direkt von einem auf Okinawa lebenden Chinesen lernte und unterstützt somit die Aussage Nakamas. Hier ist es wahrscheinlicher, dass der Chinese nicht lange im Königreich Ryūkyū verweilte und deshalb nur Itosu in seiner Methode unterwies. Als Itosu den Chinesen fragte, was er denn da lerne könnte diese „Ch’ang Ch’üan“ geantwortet haben, was dann mit der Zeit zu Channan wurde, so dass die ursprüngliche Kata Channan genannt wurde. Da wir ja festgestellt haben, dass das Boxen der langen Faust in China sehr verbreitet war, wird auch der Chinese entsprechend darin ausgebildet worden sein. Dies würde ebenfalls die Ähnlichkeiten zur Kūshankū erklären.

Die Kūshankū ist eine Form des Boxens der langen Faust und wurde nach seinem Überbringer benannt und über Sakugawa an Matsumura weitergegeben. Jener Chinese überlieferte ebenfalls die Methode des Ch’ang Ch’üan an Itosu, der dann daraufhin die Form Channan schuf. Diese erweiterte er dann auf Grund seiner ausgiebigen Forschungen um die besten Methoden die er kannte und schuf somit die fünf stufige Pinan-Gata Serie. Dies klingt in meinen Augen am plausibelsten und stützt sich auf die Aussagen von Motobu, Nakama und Miyahira. Somit wäre alle oben genannten Theorien zu einer Theorie verschmolzen.

In diesem Sinne.

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