Karate und Charakterschulung

Do, Jul 14, 2011

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Funakoshi Gichin hatte eine Vision. Er wollte sein geliebtes Karate dazu nutzen, bessere Menschen zu schaffen und bei der Erziehung junger Menschen einen wichtigen Beitrag leisten. Die Ausübenden der Kunst oder des Sportes des Karate behaupten gern, dass das Training im Karate nicht nur den Körper, sondern auch den Charakter formt. Auch von Funakoshis Lehrer, Asato Ankō, sind ähnliche Aussagen überliefert. Im Jahre 1914 wurde ein dreiteiliger Artikel unter dem Titel „Okinawa no Bugi – Kampftechniken aus Okinawa“ in der Zeitschrift „Ryūkyū Shinpō“ veröffentlicht. Hierbei handelt es sich um ein Interview, dass Funakoshi mit seinem Lehrer Asato wohl im Jahre 1902 führte. Hier kann unter anderem folgendes nachgelesen werden.

Da im Karate-Training die Übung des Geistes an erster Stelle steht, gehört die Leibesübung zu den zweitrangigen Zielen. Menschen die Karate ausüben, sind heiter und nicht schwermütig. Weil ihr Selbstbewusstsein und ihre Kraft stark sind, zittern sie nicht grundlos. Und da Schlichtheit, Aufrichtigkeit, Eifer und Durchhaltevermögen gestärkt werden, halten sie Lernen, Arbeiten und alle Leiden durch. Da sie auch unkompliziert und nicht habgierig sind, steigen sie zu einer natürlichen Würde auf. (Übersetzung Henning Wittwer)

In der Tat kann Karate helfen z.B. Disziplin und Selbstvertrauen zu stärken, aber das können Boxen, Fußball, Basketball oder andere Sportarten auch. Mannschaftssportarten fördern zu dem auch noch die Ausprägung von Eigenschaften wie Teamfähigkeit, wo unter anderem auch die Selbstlosigkeit eine wichtige Rolle spielt. Hier lernen die Sportler sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Karateka sind in der Regel eher auf sich selbst fixiert. Es geht ja auch darum die eigenen Ziele zu erreichen und die eigene Technik zu verbessern und an sich zu arbeiten.

Die Charakterschulung hat in meinen Augen allerdings eher eine Bedeutung bei der Erziehung von Kindern, denn diese sind noch formbar. Bei Erwachsenen sehe ich es eher so, dass diese irgendwann eine Persönlichkeit entwickelt haben und einen Platz in der Gesellschaft gefunden haben und diesen dann entsprechend ausfüllen. Hier lässt sich dann auch sehr schwer an fest eingefahrenen Verhaltensmustern noch etwas ändern.

Denn wie alle Erziehungsmethoden funktioniert auch Karate als solche nicht bei jedem Kind, beziehungsweise überhaupt nicht oder in nur unwesentlichem Maße bei bereits erwachsenen Menschen. Als jüngstes Beispiel soll hier der Fall Harry Cook dienen. Harry Cook, ein hoch angesehener Lehrer des Karate-Dō, Inhaber des 7.Dan und hoch gepriesener Buchautor wurde im Mai dieses Jahres (2011) von der Polizei verhaftet.

Die Anschuldigungen gegen ihn wiegen sehr schwer, der Vorwurf lautet „sexueller Missbrauch von Minderjährigen in mehreren Fällen“. Bei seiner gerichtlichen Anhörung bekannte er sich in allen Punkten für schuldig. Das Gericht sollte sich eigentlich zur Urteilsverkündung zusammenfinden, allerdings wurde der anvisierte Termin verschoben, da sich weitere Opfer gemeldet haben und die Polizei nun auch in diesen Fällen ermittelt. Der Schock in der Karatewelt ist groß, da gerade Cook einer war, der die charakterfördernde Seite des Karate besonders gern hervorhob.

Wer hier jetzt an einen besonders eklatanten Einzelfall denkt, der irrt sich. Das traurige an der ganzen Situation ist, dass Cook leider nicht der einzige Fall ist.

Ein weiteres, extrem geartetes, Negativbeispiel ist wohl ein Fall aus dem Jahre 1984, der sich wohl in den USA zugetragen hat. Hier wurde ein geistig verwirrter Mann in einem Karate-Dōjō von einem Schwarzgurt aus dem Dōjō zusammengeschlagen. Der Inhaber des Dojo, ein gewisser Bobby Joe Blythe, wies wohl seinen Schüler an, mit dem geistig verwirrten Mann, der behauptete Jesus hätte ihm ein paar Karatetricks beigebracht, zu kämpfen. Auf Youtube existiert ein entsprechendes Video. Unklar ist wohl aber, ob der geistig verwirrte Mann dabei zu Tode kam oder nicht.

Das sind jetzt tatsächlich Extrembeispiele, aber es zeigt sich auch im alltäglichen Umfeld, dass Karate nicht wirklich etwas mit dem Charakter eines Praktizierenden zu tun hat. Viele, so genannte Meister, haben massive Egoprobleme und können nicht zugeben, wenn Sie mal etwas nicht wissen bzw. sich erstmal darüber informieren müssen, aus Angst vor einem Reputationsverlust oder weil die Existenz am Image hängt. Dabei sind wir doch alle nur Menschen und niemand weiß alles. Genauso wie jeder Mensch Stärken und Schwächen hat, hat diese auch ein Karateka. Es gilt die eigenen Schwächen zu erkennen und an ihnen zu arbeiten. Aber wenn wir ehrlich sind, machen dies doch die wenigsten.

Laut Funakoshis achter Regel seiner 20 Paragraphen zum Karate Dō, sollte doch jeder daran denken, dass Karate nicht nur im Dōjō stattfindet, sondern auch außerhalb. Allerdings ist doch für die meisten Karate ein Hobby und findet nur dreimal die Woche für eineinhalb Stunden statt. Das ist auch vollkommen in Ordnung, allerdings sollte sich dann doch jeder darüber im Klaren sein, dass Karate allein bei der Charakterschulung keine Wunder vollbringen kann.

Karate kann ein möglicher Weg sein, um zu lernen an sich zu arbeiten, nicht nur körperlich. Der innere Schweinehund, muss schließlich jeden Tag in irgendeiner Situation überwunden werden. Aber einem Automatismus unterliegt dies nicht. Nicht jeder, der Karate betreibt, ist automatisch von einwandfreiem Charakter. Dies sind wohl nur die wenigsten Menschen, wenn es überhaupt solche Menschen gibt.

Damals auf Okinawa wurde übrigens nicht jeder als Schüler akzeptiert. Hier wurde sehr auf den Charakter geachtet. Entsprach der Charakter eines potentiellen Schülers nicht den Vorstellungen des Meisters, so wurde der Bitte nach Unterricht nicht nachgekommen, selbst wenn es der eigene Sohn oder ein anderes Familienmitglied war.

In diesem Sinne.

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